Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
nachdem, wie ich ihm pfeife.«
Konrad seufzte tief auf. »Wir sollten tauschen, Ambros. Niemand würde es merken. Ich beneide dich um deine Freiheit. König zu sein, ist wie eingekerkert zu sein. Nie bist du allein. Nie kannst du tun, was du willst. Auf jede Geste, auf jedes Wort musst du achten, weil dich alle mit Argusaugen beobachten. Du darfst keinen Fehler machen, weil es so viele in deiner Umgebung gibt, die nur darauf warten, dass du stolperst und sie mit dem Finger auf dich zeigen und es gegen dich verwenden können.
Aber genug davon! Ich werde dir jetzt ein paar Regeln beibringen, die du unbedingt einhalten musst, damit niemand Verdacht schöpft und unser schönes Spiel durchschaut.«
Er wandte sich an Anna. »Medica, ich bitte Euch, kommt näher.«
Anna, Chassim und Bruder Thomas hatten sich geziemend im Hintergrund gehalten, so lange Konrad mit Ambros gesprochen hatte. Anna war, wie stets, wenn sie dem jungen König begegnet war, beeindruckt davon, wie bescheiden und verständnisvoll er war, wie hellsichtig er seine Rolle und seine Stellung sah, wie klar er Schlussfolgerungen zog. Konrad war mehr als ein kluger, aufgeweckter Junge. Er musste viel von seinem Vater haben, dem stupor mundi, dem Staunen der Welt, wie er allseits genannt wurde, weil er nicht nur auf dem politischen Geläuf zu Hause war, sondern auch in den Bereichen Natur, Verständnis und Toleranz für andere Religionen und Sprachbegabung seine Vielseitigkeit und seinen Wissensdrang immer wieder von neuem unter Beweis stellte. Friedrich II . hatte sich so weit über die Menschheit und sogar den Papst erhoben, wie das sinnbildlich nur die Falken konnten, über die der Kaiser ein Buch geschrieben hatte, wenn sie stundenlang am Himmel kreisten. Manchmal taten sie einen unmerklichen Flügelschlag, um ihre Flugrichtung zu korrigieren, aber ansonsten schwebten sie über den Dingen, als hätten sie es nicht nötig, zu fressen oder zu schlafen wie normale sterbliche Lebewesen, weil sie nicht von dieser Welt waren.
Diese Eigenschaften hatten im gesamten Abendland aber nicht nur Erstaunen und Bewunderung ausgelöst, sondern Friedrich auch den Unmut und die Todfeindschaft der allerchristlichsten Kirche eingebrockt. In den Augen vieler Kirchenfürsten war er der Schlimmste aller Häretiker, er konnte nur ein Abgesandter Luzifers sein, für Papst Gregor IX . war der Hohenstaufer der Antichrist schlechthin.
Groß waren die Fußstapfen seines Vaters für Konrad, so groß …
Doch dieses hohenstaufische Blut floss auch in seinen Adern. Anna sah es in seinen Augen und spürte es in allem, was und wie er es sagte. Und sie fand es bemerkenswert. Wie sein Vater war Konrad jemand, der für sie eine andere Welt verkörperte. Eine Welt, in der die menschliche Vernunft das Maß aller Dinge war; die Freude am Diesseits, nicht die allerorten gepredigte Furcht vor dem Jenseits; die Neugier, diese Welt und ihre Gesetze zu entschlüsseln, zu verstehen, zu entdecken und zu erforschen; der Dialog und die Auseinandersetzung mit Andersdenkenden, nicht die Verteufelung oder die Vernichtung. Was für eine wunderbare Vorstellung! Gleichheit für jedermann, egal ob Frau oder Mann, ob arm oder reich, Bauer oder Edelmann. Für so eine Welt lohnte es sich, alles zu geben. Wenn es sein musste, das eigene Leben.
Aber vielleicht war Konrad der zukünftige Kaiser, der die Hoffnung der Medica für eine gerechtere Welt verwirklichen konnte. Darauf setzte sie.
Konrad winkte Anna heran. »Jetzt reicht mir Eure Hand, Medica.«
Anna reichte ihm ihre Rechte und erwartete, dass er sie begutachtete wie die von Ambros. Aber Konrad drückte überraschend seine Lippen auf ihren Handrücken. Anna spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss.
»Medica, ich weiß, was ich Euch, Bruder Thomas und Graf Chassim zu verdanken habe. Ohne Euch wäre ich wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Wie soll ich das je wiedergutmachen?«
»Indem Ihr uns helft, so gut Ihr das in Eurem Zustand vermögt.«
»Das ist das Mindeste, was ich tun kann«, entgegnete Konrad. Dann fragte er den in königlichen Kleidern gewandeten Hütejungen: »Ambros – du weißt, dass du eine Rede halten musst?«
Ambros wurde bleich. »Davon hat mir niemand etwas gesagt.«
»Es ist so vieles in kürzester Zeit auf dich eingestürzt«, erklärte ihm Anna. »Wir wollten dir nicht alles auf einmal aufbürden.«
Konrad hob die Hand. »Bruder Thomas – seht Ihr die Schatulle dort auf dem Tisch? Nehmt doch den Brief meines Vaters
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