Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
Weihnachten und die anschließende Mitternachtsmesse würden aufregend genug werden. Gerade als er trotz seiner Besorgnis im Begriff war, wegzudämmern, hörte er Stimmen auf dem Gang. Er stand auf und horchte kurz an der Tür, dann riss er sie auf. Die zwei Wächter vor der Tür sahen sich überrascht nach ihm um. Ein Strahlen ging über sein Gesicht, als sich auch eine Gestalt im Kapuzenumhang nach ihm umdrehte, die eben mit den beiden gesprochen hatte. Er wusste, dass er ihre Stimme gleich erkannt hatte, und er konnte nicht anders, als der Medica, die nun vor ihm stand, um den Hals zu fallen, so erleichtert und froh war er, sie gesund und munter wiederzusehen. Schnell wurde ihm bewusst, dass eine so herzliche Begrüßung einer Gräfin durch einen Mönch vor den Augen des Wachpersonals vielleicht unangebracht war, aber im Überschwang der Gefühle hatte er sich nun einmal dazu hinreißen lassen. Als er von ihr genauso herzlich gedrückt wurde, konnte er sie endlich loslassen, weil er merkte, dass es ihr so ging wie ihm. Die Wachen sahen recht zerknittert und verschlafen aus, wahrscheinlich waren ihnen in den frühen Morgenstunden doch die Augen zugefallen. Sie taten so, als würden sie ihr Hauptaugenmerk darauf richten, dass ihre Uniform richtig saß, und zupften an sich herum. Aber sie nahmen sofort wieder Haltung an, als die Medica sie ansprach. »Vorläufig darf niemand Kenntnis davon bekommen, dass ich wieder eingetroffen bin. Meldet meine Rückkehr nur dem Grafen von Landskron mit der Bitte, so schnell es ihm möglich ist, ohne Aufsehen zu erregen zum Gemach des Königs zu kommen. Passt auf, dass niemand sonst etwas von eurer Benachrichtigung mitbekommt. Wann trifft eure Ablösung ein?«
»Jeden Augenblick, Hoheit«, antwortete der Ältere der beiden.
»Gut. Dann geht und tragt ihr auf, dass sie uns aus der Küche etwas zu essen und zu trinken bringen soll.«
Als die Wachen zögerten und sich unsicher anblickten, fügte sie hinzu: »Macht euch keine Sorgen um die Sicherheit des Königs. Bruder Thomas wird so lange Wache halten, bis eure Ablösung eingetroffen ist.« Ihr strenger Blick und Tonfall waren unmissverständlich, und die beiden eilten los, um ihrem Befehl Folge zu leisten.
Bruder Thomas wollte etwas sagen, aber Anna legte ihren Zeigefinger zum Zeichen des Schweigens auf ihre Lippen und wartete, bis die Wachen endgültig verschwunden waren. Dann löste sich ihre Anspannung, und sie atmete erleichtert auf. »Endlich. Ich dachte schon, wir würden sie nie loswerden!«
Sie wandte sich Bruder Thomas zu. »Das Wichtigste zuerst: Wie geht es dem König?«
»Von Stunde zu Stunde besser«, antwortete Bruder Thomas. »Doch sag mir, wo warst du so lange?«
Sie hob einen Zeigefinger. »Du wirst gleich alles erfahren. Hab noch einen winzigen Augenblick Geduld! Warte hier«, befahl sie, und schon rannte sie den Gang hinunter in Richtung des versteckten Zugangs zum Bergfried. Bruder Thomas ging ihr verunsichert ein paar Schritte nach, blieb dann aber stehen, weil er die Tür zu den königlichen Gemächern nicht aus den Augen lassen wollte. Was hatte die Medica vor? Sie blieb vor dem Wandbehang stehen, der ganz am Ende des Ganges an der Stirnseite hing, schob ihn beiseite und klopfte an die dahinterliegende geheime Tür, die den Zugang zum Bergfried versperrte. Die Tür ging auf, und Chassim kam mit einer Person heraus, deren Gesicht wegen der tiefhängenden Kapuze für Bruder Thomas nicht zu erkennen war. Rasch zog Anna den Wandbehang wieder vor die Tür und kam mit Chassim und der dritten Person herangeeilt, offensichtlich war es ein junger Bursche. Chassim begrüßte Bruder Thomas, der sich verneigte, während Anna den Burschen an ihnen vorbei in den Vorraum des Gemachs schob. Chassim folgte ihnen mit dem Mönch und schloss die Tür. Endlich waren die vier im dunklen Vorraum versammelt, der nur von einer Öllampe erhellt wurde. Anna wandte sich an Bruder Thomas. »Ich habe hier jemanden mitgebracht. Er wird, so lange es nötig und angebracht ist, die Rolle des Königs spielen.« Bevor der konsternierte Bruder Thomas den Mund aufbrachte, nahm sie in einer einzigen geschickten Bewegung dem Burschen den Umhang samt Kapuze ab.
Im spärlich flackernden Licht der Ölfunzel glaubte Bruder Thomas, seinen Augen nicht trauen zu können. Vor ihm stand Konrad IV ., nur in wesentlich besserer Verfassung und kerngesund, und verzog keine Miene.
Bruder Thomas bekreuzigte sich instinktiv, nahm die Öllampe und hielt sie
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