Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
durch ihr Haar – sie konnte die Blicke ihrer stummen Magd inzwischen sehr gut deuten. »Ja, Berbelin, es stimmt, ich bin eitel und hoffärtig. Aber weißt du was, heute bereitet es mir ein großes Vergnügen!«
Die Wäscherinnen sahen erstaunt zu, wie Anna und Berbelin fröhlich einen kleinen Tanz um die Wäschetröge und Eimer herum veranstalteten und dann hinaus ins Freie hüpften wie zwei kleine Mädchen.
Chassim wartete schon auf Anna und staunte nicht schlecht, als er sie zum ersten Mal in der neuen Tunika sah. Galant umkreiste er sie und raunte ihr ins Ohr: »Eigentlich sollte ich dir nicht die Burg zeigen, sondern auf einer königlichen Hofgesellschaft mit dir tanzen!«
»Das werden wir ganz bestimmt irgendwann nachholen, wenn du wieder gesund bist«, lachte sie. Auch Chassim hatte frische Kleidung angezogen, nur sein Gipsbein zeigte allmählich gewisse Abnutzungserscheinungen. »Komm mit!«, sagte er und zog sie mit sich. »Ich habe lange genug auf dich gewartet.«
Es war spätsommerlich warm geworden, und Chassim führte Anna in der gesamten Burganlage herum, die sich als weitläufiger erwies, als Anna gedacht hatte. Er zeigte ihr sogar die Gesindeunterkünfte, die Stallungen, auch den Schweinestall ließ er nicht aus, der wegen des strengen Geruchs ein gutes Stück abseits lag, die Vorratskammern und die Scheune. Sogar eine Hütte mit Bienenkörben gab es für den Honig, der zum Süßen verwendet wurde. Er stellte ihr dabei jeden dienstbaren Geist vor, dem sie über den Weg liefen. Vom Hochrangigsten – dem Burghauptmann und Hofmeister in einer Person – bis zum Hütejungen Ambros, der für die Ziegen, Schafe und Schweine zuständig war. Ambros erinnerte Anna an jemanden aus ihrer Vergangenheit, ihr fiel nur nicht ein, an wen. Vielleicht wenn er sich einmal gründlich das Gesicht waschen und die Haare schneiden würde …
Chassim machte Anna sogar mit der kleinen Gänsemagd, einem zehnjährigen Mädchen namens Lisa, bekannt, die sie in ihrer kindlichen Unbeholfenheit – sie versuchte einen Knicks! – zum Lachen brachte. Anna zeigte ihr einen formvollendeten Hofknicks, sie hatte auf Burg Landskron oft genug zugesehen, wie die hohen Herrschaften einander vorgestellt wurden und sich begrüßten. Als Chassim und Anna längst weitergegangen waren, übte Lisa noch immer verbissen den Knicks vor ihrer Gänseschar, bis sie glaubte, ihn perfekt zu beherrschen. Aber als sie sich zum Abschluss ihrer Vorführung verbeugte, war ihr gefiedertes Publikum schon längst schnatternd weitergezogen, und sie musste sich sputen, es wieder einzuholen.
Anna hatte sich schon Sorgen um Chassims Bein gemacht, doch der junge Graf war seit der Rückkehr auf seines Vaters Burg wieder ganz der fröhliche, unbekümmerte junge Ritter und fidel wie ein Fohlen, ganz so, wie sie ihn kennengelernt hatte, und ermüdete nicht. Inzwischen hatte er gelernt, wie er mit dem Gipsbein und der Krücke einigermaßen gewandt umgehen konnte, und legte eine erstaunliche Schnelligkeit an den Tag. Anna mochte an ihm, dass er jeden beim Namen kannte und nannte, bis auf ein kleines, drei Monate altes Mädchen, das während seiner langen Abwesenheit zur Welt gekommen und die Tochter des Hufschmieds Kuno und seiner Frau war. Kuno war ein muskulöser Riese mit Pranken so groß wie ein Turnierschild, der normalerweise ein Gemüt hatte wie ein Maulesel, aber jetzt sorgte er sich um seine kleine Tochter. Als Anna hörte, dass das Kind anscheinend Bauchschmerzen hatte, untersuchte sie es kurz, stellte fest, dass die Schmerzen offenbar harmlosen Ursprungs waren, und fragte Chassim nach den Kräutern in der gräflichen Küche. Dort fand sie etwas Fenchel, aus dem sie einen heißen Sud bereitete, den sie der Mutter noch vorbeibrachte und ihr dazu Anweisungen zur Anwendung gab.
Auf ihrem weiteren Rundgang trafen sie auf Bruder Thomas, der neben dem alten Grafen auf einer Bank in der Sonne saß und den jungen Männern beim Dreschen des Getreides zusah und sich von seiner Verwundung erholte. Zwischen ihnen stand ein Krug mit Bier, und Bruder Thomas schenkte sich und dem alten Grafen nach. Die zwei schienen sich gut zu verstehen. Chassim ruhte sich ein wenig neben Bruder Thomas auf der Bank aus. Anna kontrollierte den Verband, den sich Bruder Thomas selbst frisch angelegt hatte. Die Wunde blutete nicht mehr, und dem Famulus der Medica ging es zunehmend besser. Er versicherte Anna, dass er fieberfrei und bald wieder ganz hergestellt sei. In ein paar Tagen
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