Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
keine Erben. Wenn sie stirbt, fällt ihr ganzer Besitz an den König, das heißt in dem Fall an den Erzbischof. Außer sie ehelicht jemanden beizeiten und standesgemäß. Deshalb gilt sie als gute Partie. Du kannst dir vorstellen, dass die Bewerber um ihre Hand Schlange stehen. Aber bisher hat sie noch jedem einen Korb gegeben. Kein Wunder, sie hat nämlich Haare auf den Zähnen.«
Er kicherte. »Man sagt, dass sogar Ritter Baldur von Veldern, ein bekannter Plackerer, der die Gegend gelegentlich mit seiner Mörderbande heimsucht, einen großen Bogen um ihr Gut macht. Der Drache von Bruneck wird sie genannt. Chassim hat sie einmal aufgesucht, es ging um ein Stück Wald, um das es seit Jahrzehnten Streit gegeben hat.«
»Haben sie den Streit friedlich beigelegt?«
»Chassim hat mir erzählt, dass sie überaus heftig reagiert hat. Es hat nicht viel gefehlt, und sie wäre mit dem Schwert ihres Mannes auf ihn losgegangen. Aber am Ende sind sie schiedlich-friedlich auseinander. Seit damals bewirtschaften wir das Stück Wald gemeinsam. Sie haben sich geeinigt. Aber beide Seiten müssen es wollen, verstehst du?«
Diese Feststellung hing zwischen beiden in der Luft, und offenbar wartete der alte Graf darauf, dass Anna dazu Stellung beziehen würde.
In die Pause hinein hörten sie eine Stimme von unten herauf rufen, es war Chassim. »Anna, Vater – seid ihr da oben?«
»Ja, wir kommen schon«, rief Anna zurück, die Unterbrechung kam ihr nicht ungelegen. Sie stand auf, und zu Chassims Vater gewandt sagte sie: »Er kann mit seinem Bein nur schlecht heraufkommen.«
Der alte Graf nickte. »Reichst du mir deinen Arm?«, fragte er höflich, und Anna führte ihn vorsichtig Schritt für Schritt nach unten, wo Chassim, auf eine Krücke gestützt, auf sie wartete.
»Ich habe dich schon überall gesucht, Anna«, sagte er voll jungenhaftem Tatendrang und dem alten begeisterten Glanz in den Augen, den Anna von Anfang an so an ihm gemocht hatte. »Komm, zieh dir was Schönes an. Ich will dir Burg Greifenklau zeigen.«
Anna wandte sich an Chassims Vater. »Begleitet Ihr uns?«
»Nein, nein, geht nur, geht!«, sagte der alte Graf und schob Anna sanft, aber nachdrücklich zu Chassim. Ihre Schritte entfernten sich.
Was hätte er jetzt darum gegeben, wenn er sehen könnte, wie sie Seite an Seite davongingen. Aber er spürte auch so die Vertrautheit und verliebte Aura zwischen den beiden und freute sich für sie. In der kurzen Zeit des Kennenlernens hatte er dieses junge, selbstbewusste Mädchen namens Anna schon in sein Herz geschlossen.
VII
A nna, die es sich im Haus ihres Medicus’ angewöhnt hatte, so oft wie möglich zu baden, nutzte die Gelegenheit, dass das Waschhaus hinter der Küche, in der zwei Wäscherinnen einen Kessel mit Wasser heizten, einen Brunnen hatte. Sie wusch sich mit Berbelins Hilfe, einigen Eimern Wasser und einem Stück Seife, die sie noch mitgebracht hatte. Eine der wenigen, kostbaren Habseligkeiten aus ihrer Zeit als Medica in Oppenheim. Sie trocknete sich ab und zog sich ein frisches Unterhemd und darüber ihre leuchtend grüne neue Tunika an, die eine geschlungene Borte zierte. Berbelin hatte sie noch in den friedlichen Tagen in Oppenheim geschneidert und bestickt, darin war ihre Magd eine wahre Künstlerin. Die Tunika konnte nach neuester Mode um die Taille herum enger geschnürt werden. Als Berbelin Anna auch noch die langen Haare flocht, fühlte sie sich wie eine Prinzessin. In Oppenheim war sie als Medica meistens nur mit ihrem dunklen, wollenen Kapuzenumhang unterwegs gewesen und hatte nicht besonders auf ihr Aussehen geachtet, im Gegenteil, sie hatte sich in der Öffentlichkeit immer so klein und unscheinbar wie möglich gegeben, um nur ja nicht aufzufallen und Argwohn oder Abwehr bei den abergläubischen Leuten hervorzurufen. Aber jetzt hatten sich die Verhältnisse ein wenig geändert. Es gefiel ihr, sich hübsch zu machen und mit ihrer Weiblichkeit zu kokettieren, nur ein kleines bisschen, so dass es nicht anstößig wirkte. Sie küsste das kleine Kreuz an ihrer Halskette und trug sie zum ersten Mal gut sichtbar über ihrer Tunika. Als Berbelin ihr die übliche weiße Haube reichte, die sie über ihre Haare ziehen sollte, und sie sich damit im Wasserspiegel des Waschtrogs ansah, bedauerte sie, dass die schön geflochtenen Haare darunter nicht zu sehen waren, also nahm sie die Haube wieder ab und drückte sie ihrer Magd in die Hand. Als Berbelin sie erstaunt anblickte, fuhr sie gespielt kokett
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