Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
könne er ihr wieder zur Hand gehen, ganz so wie früher. Beim Gedanken daran seufzte Anna. »Wisst ihr, was ganz schlimm ist?«, sagte sie zu Chassim und Bruder Thomas. »Dass meine ganzen Arzneien und Instrumente, die ich von Medicus Aaron übernommen habe, durch die Männer des Erzbischofs und den Brand komplett vernichtet worden sind. Wie soll ich kranken Menschen helfen, wenn ich keine Heilmittel mehr habe? Mit bloßen Händen können wir gar nichts ausrichten.«
»Ich wüsste da jemanden, der dir unter Umständen in diesem Dilemma weiterhelfen könnte«, sagte der alte Graf unvermittelt. Anna sah ihn überrascht an.
»Es gibt einen Juden in Köln, er heißt Jakob Ben Ascher. Er handelt mit allem, was man benötigt, um Krankheiten heilen zu können, und betreibt ein Hospiz. Vielleicht könnte er dir weiterhelfen oder weiß jemanden, bei dem du beziehen kannst, was du brauchst.« Anna und Bruder Thomas tauschten einen erfreuten Blick aus. Doch Chassim teilte diese Begeisterung nicht unbedingt. Aber Anna und Bruder Thomas beschlossen, sobald Bruder Thomas wieder ganz bei Kräften war, zusammen mit dem vierrädrigen Wagen nach Köln zu fahren und den jüdischen Medicus Ben Ascher aufzusuchen.
Chassim erhob sich wieder. Er wollte Anna noch etwas ganz Besonderes zeigen, das Schönste habe er sich für den Schluss aufgehoben, sagte er geheimnisvoll, als er sie an der Hand nahm.
Anna nahm an, dass sie schon jeden Winkel der Burganlage gesehen hatte, aber sie folgte Chassim. Im Zaun war in Richtung Norden hinter dem kleinen Wasch- und Brunnenhaus eine kleine stabile Tür angebracht, sozusagen der Hinterausgang aus der Burganlage. Sie war von innen mit zwei dicken Querriegeln versperrt, und Anna musste Chassim helfen, sie zu entfernen, so schwer waren sie.
Chassim hatte Ambros als Wache an die Tür geholt, solange er und Anna außerhalb der Burg unterwegs waren. Von außen war die Tür nicht zu öffnen, wenn die Riegel davor waren. Ein schmaler Trampelpfad führte den Burghügel hinunter, am Fuß des Hügels über ein abgeerntetes Feld und dann die nächste, dicht bewaldete Anhöhe wieder hinauf. Jetzt kam Chassim dann doch ganz schön ins Schwitzen, aber er gab nicht auf, schließlich wollte er Anna etwas zeigen, das ihm sehr wichtig war.
Der Pfad schlängelte sich immer weiter in den Wald hinein und mündete schließlich in eine Lichtung, auf der wie in einem Märchen eine weißgetünchte Kapelle mit einem schmalen Glockenturm stand. Chassim öffnete die Tür, und sie betraten den Innenraum. Er war etwa so groß, dass zehn Menschen darin Platz finden konnten. Spärliches Tageslicht fiel durch kleine Fensteröffnungen herein, die vergittert waren, damit keine Tiere hereinkamen. Vorne am Altar, der aus einem schlichten behauenen Steinsockel und einem handgeschnitzten Kruzifix bestand, standen frische Kornblumen in einem kleinen Becher.
Chassim deutete wegen seines Gipsbeins einen Kniefall nur an und bekreuzigte sich, Anna tat es ihm nach. Während Chassim ein kurzes, stilles Gebet sprach, sah sie, dass ein Großteil des Bodens von einer Grabplatte eingenommen wurde, auf der drei Namen eingemeißelt waren:
ISABEL V. GREIFENKLAU
MAGDALENA V. GREIFENKLAU
CRISTAN VON GREIFENKLAU
Chassim wandte sich Anna wieder zu und erklärte, indem er auf die Namen zeigte. »Das ist die Grabstätte meiner Mutter. Über ihr hat mein Vater, als er vom Kreuzzug zurückkam, diese Kapelle errichtet.«
»Und die zwei anderen Namen sind deine Frau und euer gemeinsames Kind?«
»Ja«, sagte er. »Magdalena und Cristan.«
Anna spürte, dass Chassims Stimme zu brechen drohte.
»Du hast sie sehr geliebt …«
»Ja«, sagte er nur. Anna schwieg ebenfalls, und sie sahen auf die Grabplatte. Anna fasste Chassims Arm und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Er war dankbar für diese Geste des Mitgefühls und legte seine Hand auf ihre. So verharrten sie eine Weile in stillem Gedenken, bis Chassim sein Gesicht wieder Anna zuwandte. »Ich werde sie immer in meinem Herzen tragen. Aber jetzt bist du in mein Leben getreten. Warte …«
Er humpelte vor zum Altar, wo das kleine Sträußchen Kornblumen war.
»Und von wem sind die Blumen?«, fragte Anna.
»Die Frauen in der Burg sorgen immer dafür, dass hier frische Blumen sind – solange es die Jahreszeit zulässt. Aber die hier …«
Er nahm das kleine Sträußchen Kornblumen aus dem Becher.
»… die habe ich heute für dich hergebracht.«
Schüchtern reichte er ihr die Blumen. »Ich
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