Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
sich der Seitenkapelle.
Bruder Thomas, der sich schon auf den Weg nach draußen machen wollte, weil er allmählich Hunger bekam, hatte sich suchend nach Anna umgedreht und sah sie schlafwandlerisch in Richtung Apsis gehen, wo sie jäh stehen blieb. Er folgte ihr und trat hinter sie. Anna drückte sich an eine Säule und hinderte Bruder Thomas gerade noch daran weiterzugehen. Sie warf ihm mit leichenblassem Gesicht einen warnenden Blick zu und zwickte ihn vor lauter Aufregung in den Oberarm. Bruder Thomas wollte sie gerade fragen, was denn los sei, als er den Grund für Annas Schockstarre erspähte – aus dem Dunkel der Apsis hinter dem Altar trat nämlich eine Gestalt hervor, die bei Anna und Bruder Thomas mindestens Anlass für Beklemmungen, wenn nicht sogar größter Besorgnis und Furcht gab. Unverkennbar in seiner hageren Gestalt, seinem kerzengeraden Gang, seinem prächtigen, pelzverbrämten Umhang und seinem ganzen Habitus erschien der Erzbischof. Er schenkte dem Kirchenschiff keine Beachtung und ging direkt auf den Beichtstuhl in der Seitenkapelle zu. Ein Mönch hielt ihm ehrerbietig die Tür zum Platz des Beichtvaters auf, schloss sie hinter ihm wieder und entfernte sich dann taktvoll außer Hörweite. Dann blieb er stehen und bildete mit den anderen Mönchen, es war ein halbes Dutzend, eine Kette, um niemanden in die Nähe des Beichtstuhls zu lassen.
Ein seltsames Verhalten. Anna war nun doch neugierig geworden. Außer ihnen war der diskrete Vorgang im Hintergrund des Kirchenschiffes niemandem aufgefallen. Bruder Thomas seinerseits hatte genug gesehen und zupfte Anna am Ärmel. »Komm«, flüsterte er, »oder willst du noch, dass wir uns verdächtig machen und zu ihm geführt werden? Also darauf kann ich dankend verzichten!«
Anna schüttelte seine Hand unwillig ab. Sie wollte sehen, ob irgendeine hochgestellte Persönlichkeit aus einem Hinterausgang trat, um bei Konrad von Hochstaden die Beichte abzulegen. Aber nichts dergleichen geschah. Um nicht aufzufallen, sank Anna auf ihre Knie, beugte den Kopf mit der Kapuze vor dem Altarkruzifix und gab vor, inbrünstig zu beten. Bruder Thomas blieb nichts anderes übrig, als es ihr gleichzutun. Es vergingen mindestens vier Vaterunser, bis plötzlich die Tür des Beichtstuhls aufging, der Erzbischof gebückt herauskam, sich zu seiner vollen Größe erhob und ohne einen Seitenblick auf das Kirchenschiff zu verschwenden, gefolgt von den Mönchen, durch den Hinterausgang in der Apsis verschwand.
Erneut zupfte Bruder Thomas Anna am Ärmel, aber die Medica wollte jetzt wissen, wer beim Erzbischof gebeichtet hatte – anscheinend hatte derjenige schon im Beichtstuhl gewartet, bevor Konrad von Hochstaden ihn betreten hatte. Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Aber schließlich ging die seitliche Tür auf, und heraus kam Jeronimus, der Knochenhauer.
Bruder Thomas verpasste Anna beim Anblick ihres Begleiters aus Burg Greifenklau einen heftigen Rippenstoß, so überrascht war er. Sie blieben noch in ihrer kauernden Stellung, damit Jeronimus sie nicht erkannte. Denn dann hätte er gleich gewusst, dass sie ihn bei seiner Begegnung mit dem Erzbischof ertappt hatten. Er schien vor Selbstbewusstsein schier zu platzen, als er auf der gegenüberliegenden Seite des Kirchenschiffs dem Ausgang zustrebte und verschwand.
Mühsam erhob sich Bruder Thomas und half Anna auf. Sie sahen sich überrascht an.
»Kannst du glauben, was ich da eben gesehen habe?«, fragte Bruder Thomas. »Unser Kutscher und Knochenhauer scheint mir ein Doppelleben zu führen. Oder der Erzbischof ist sein persönlicher Beichtvater. Was ich mir kaum vorstellen kann. Ich weiß nur, dass die Sache mir nicht gefällt. Sie gefällt mir ganz und gar nicht.«
Anna sagte kein Wort, sie bekreuzigten sich vor dem Altar und machten, dass sie auf der anderen Seite des Doms ins Freie kamen, wo sie erst einmal tief Luft holten.
Dann sprach Anna aus, was beide dachten. »Jeronimus ist ein Verräter. Ein Spion des Erzbischofs.«
Bruder Thomas schüttelte mit Empörung und Abscheu zugleich den Kopf über diese Erkenntnis. »Dieses hinterhältige Schwein! Ich stelle ihn noch heute zur Rede. Ich will wissen, warum er das macht. Und wie viele Silberlinge er dafür bekommt. Und wenn ich die Wahrheit aus ihm herausprügeln muss!«, presste er grimmig zwischen den Zähnen hervor und ballte die Faust. Anna zog ihn mit sich, um auf offener Straße keine Aufmerksamkeit zu erregen, denn es waren immer noch eine Menge
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