Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
welche Erfahrungen sie damit in Bezug auf Festigkeit, Dauer und den Heilungsprozess gemacht hatte. In ihr keimte eine vage Hoffnung auf; wenn man die Ergebnisse solcher Werte austauschte und systematisch weiterspann, konnte man nicht nur einem weitaus erfahreneren Kollegen, sondern der Heilkunde an sich einen großen Dienst erweisen und sie so weiterentwickeln. Dieser Gedanke brachte sie auf eine Idee. Sie wunderte sich, dass sie noch nie daran gedacht hatte. Sie konnte doch ein Buch schreiben über ihre Heilmethoden und die des Medicus, in dem sie festhielt, wie und ob sie funktioniert hatten, welche Behandlungen fehlgeschlagen und wie Verbände, Instrumente und Arzneien am besten einzusetzen waren. Wenn sie alles aufschrieb, was sie an Erfahrungen im Laufe der Jahre ansammelte, konnte so ein Werk zum Leitfaden für weitere Generationen von Heilern werden. Seltsam, dass ihr früherer Lehrmeister sie sogar jetzt noch über seinen Weggang hinaus inspirierte!
Sie beschloss, mit diesem Vorhaben zu beginnen, sobald sie zurück auf Burg Greifenklau war. Dann beendete sie ihr Schreiben an Aaron mit den herzlichsten Grüßen und Wünschen für ihn, seine Schwester Esther und seine Magd Rebecca, löschte die Kerze, legte sich auf ihr Strohlager und war auch schon eingeschlafen.
Jakob Ben Ascher war höchst interessiert an der Gipsmethode bei Knochenbrüchen, als Anna ihm davon erzählte. Er hatte zwar davon gehört, sie aber noch nie selbst in die Tat umgesetzt. Dafür konnte er Anna und Bruder Thomas einen tiefen Einblick in seinen reichen Erfahrungsschatz im Umgang mit den vielen Gebrechen und Leiden geben, die er zu lindern und heilen imstande war. Er führte sie zu Patienten, die er in zwei großen Krankensälen seines Hospitals pflegte, und zeigte ihnen, wie er Krankheiten erkannte, ertastete und behandelte. Auch er benutzte Aqua vitae bei Patienten mit offenen Wunden und wusch seine Hände vor und nach jeder Untersuchung, weil er wie Anna festgestellt hatte, dass dies von großem Nutzen und beim Heilungsfortschritt dienlich war. Dann führte er ihnen Instrumente vor, die Anna selbst bei Aaron noch nie gesehen hatte, so zum Beispiel einen Draht mit einer Schlinge, den er sich nach seinen Anweisungen von einem Schmied hatte hämmern lassen, mit dem er bei einer weiblichen Patientin, die kein Wasser mehr lassen konnte, Blasensteine entfernt hatte.
Anna und Bruder Thomas hätten noch Tage und Wochen mit Jakob über Krankheiten und ihre Ursachen disputieren können, aber als es nach einem gemeinsamen Abendessen auf Mitternacht zuging, war es schließlich an der Zeit für sie, aufzubrechen und Abschied zu nehmen. Anna bezahlte noch die Lieferung, die sie bereits fertig verladen hatten, und dann umarmten sie sich und versprachen, einander bald wiederzusehen, bevor sie und Bruder Thomas ihre Kapuzen wieder über den Kopf zogen und in den Gassen der Stadt verschwanden, um ihre Herberge aufzusuchen.
VIII
D ie große und betriebsame Stadt Köln blieb allmählich hinter ihnen zurück, nachdem sie mit ihrem Planwagen, der über die Grenzen seines Aufnahmevermögens und die Belastbarkeit seiner Achsen hinaus bepackt war, den Rückweg angetreten hatten. Anna, Bruder Thomas und Jeronimus hockten stumm auf dem Kutschbock, die wollenen Mäntel fest gegen die beißende Kälte um den Körper geschlungen. Anna und ihr Famulus hatten die Kapuzen weit über den Kopf gezogen, und Jeronimus hatte sich ein warmes Tuch gekauft, das er sich um Hals und Kopf gewickelt hatte. Jeder der drei schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen und sich mit den vergangenen Tagen zu beschäftigen, in denen so viel geschehen war. Aber das war nur vorgetäuscht, in Wirklichkeit belauerten sie sich gegenseitig.
Sie waren pünktlich bei Anbruch der Morgendämmerung losgefahren. Es war zwar bitterkalt, aber trocken. Die durchgehende, seit Tagen anhaltende klirrende Kälte hatte wenigstens den Vorteil, dass die Wege nicht verschlammt und aufgeweicht waren, sondern hart gefroren und somit gut befahrbar. Die Unversehrtheit ihrer wertvollen Fracht, vor allem bei den empfindlichen Gefäßen mit den kostbaren Tinkturen, bereitete Anna große Sorgen. Jeder Ruck, der durch eine Unebenheit des Bodens hervorgerufen wurde, verursachte ihr Unbehagen, und Bruder Thomas kam mit seinen Stoßgebeten kaum noch nach. Aber nach den ersten Meilen kehrte allmählich Routine ein und die Gewissheit, dass sie ihre Ladung heil nach Burg Greifenklau bringen konnten. Ihre Zuversicht
Weitere Kostenlose Bücher