Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
wurde von der Tatsache untermauert, dass sie mit drei weiteren Fuhrwerken von Kaufleuten ein langes Stück gemeinsamen Weges hatten und sich so gegenseitig Geleitschutz geben konnten. Die Kaufleute hatten für ihren Transport zusätzlich noch zwei bewaffnete Soldaten angeheuert, die auf ihren Pferden ständig Patrouille ritten und Ausschau hielten. Das hielt Gesindel schon von weitem davon ab, angesichts der schwer beladenen Wagen auf dumme Gedanken zu kommen.
Die Fahrt der vier Wagen über brachliegendes, weiß vom Raureif erstarrtes Land – der letzte im Treck war der aus Burg Greifenklau – verlief eintönig und ereignislos, abgesehen von einem erzwungenen Halt, weil der erste Wagen mit einem Rad in ein Wasserloch eingebrochen und steckengeblieben war. Aber es waren genug kräftige Männer zur Stelle, die ihn wieder herauswuchten konnten. Anna war froh, dass sie an letzter Stelle fuhren und damit immer rechtzeitig reagieren konnten, wenn die Wagen vor ihnen Probleme mit tiefen Schlaglöchern oder sonstigen Hindernissen hatten.
Am späten Nachmittag kamen sie an eine Kreuzung, und hier trennten sich ihre Wege. Die drei Fuhrwerke der Kaufleute bogen samt Begleitpatrouille nach Osten ab, während Jeronimus geradeaus Richtung Südosten weiterfuhr. Die Dämmerung würde früh einsetzen, und Jeronimus trieb die Pferde an, damit sie noch bei Tageslicht ihr Etappenziel, das Dorf Windeck mit der Herberge, erreichten. Die Zugpferde verschärften ihren Trott, auch sie schienen sich nach der Wärme eines Stalls und nach einem Eimer mit Hafer zu sehnen. Endlich tauchten am Horizont einige Rauchsäulen auf, Windeck war nicht mehr weit. Es wurde auch Zeit. Anna war so durchgefroren, dass sie schon seit geraumer Weile neben dem Wagen hergelaufen war, um sich durch die Bewegung zu wärmen. Sie nahm sich vor, am Abend etwas leutseliger zu sein, damit Jeronimus keinen Verdacht schöpfte. Außerdem hoffte sie, dass nicht so viele Leute in der Schenke waren. Irgendwie hatte sie es satt, sich ständig als Mönch zu verkleiden. Aber bis sie zurück waren auf Burg Greifenklau, musste sie sich wohl oder übel noch als Bruder Marian ausgeben, eine junge Frau in Begleitung eines Mönchs und eines Fuhrmanns wäre allen höchst merkwürdig vorgekommen und hätte Anlass zu allerlei Spekulationen oder Schlimmerem gegeben.
Jeronimus wartete noch auf eine günstige Gelegenheit. Hier und heute musste es getan werden, er hatte nur diese eine Möglichkeit. Die ganze Fahrt über hatte er darüber nachgedacht, wie er es wohl am besten anstellen könnte. Und zwar so, dass er unbeschadet aus der Geschichte wieder herauskam. Das war das schwierigste Problem. Er musste den Verdacht auf jemand anderen lenken.
Dann endlich war ihm die einzig gangbare Lösung eingefallen. Er musste vorgeben, selbst vergiftet worden zu sein. Nur dass er als Einziger überleben würde. Mit Hängen und Würgen zwar, und das im wahrsten Sinne des Wortes, er würde eine schauspielerische Glanzleistung hinlegen müssen, die jeden Gaukler erblassen lassen würde vor Neid. Aber er traute sich das zu, schließlich war der Einsatz hoch genug: sein Leben und die fünf Augustalen. Die Goldstücke waren jedes Risiko wert. Diese Tür zu einem anderen, besseren Leben, die für jemanden wie ihn, der in der ständischen Rangordnung ganz unten angesiedelt war, ein kleines Stück über den Leibeigenen und Bettlern, stand einen winzigen Moment lang einen Spaltbreit offen. Er durfte nicht länger zögern, um die Gelegenheit beim Schopf zu packen und durch diesen Spalt hindurchzuschlüpfen. Den letzten Rest Unrechtsbewusstsein hatten die stichhaltigen Argumente von Pater Severin hinweggefegt. Er schuldete weder der Familie Greifenklau etwas noch dieser Medica oder diesem Mönch. Eher war das Gegenteil der Fall. Schon seine verstorbenen Eltern hatten sich für die Greifenklaus krummgelegt und zu Tode geschuftet, sein Vater in den Wäldern, seine Mutter auf den Feldern und im gräflichen Haushalt. Was war ihm anderes übriggeblieben, als in deren Fußstapfen zu treten? Nichts. Er war dazu verdammt, in dem ihm von Geburt an vorherbestimmten Bereich zu leben und zu arbeiten, bis er tot umfiel. Wenn ihn nicht vorher eine dieser unheilbaren Krankheiten befiel, die Strafe Gottes für ein sündhaftes Leben, denen man nichts entgegenzusetzen hatte, höchstens ein Gebet. Das Leben und Sterben lag einzig und allein in Gottes Hand, also war es dieser Logik nach auch Gottes Wille, dass ihn der
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