Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
ausschließlich den Herrschaften von Rang und Stand gestattet, an den Festlichkeiten des Hochadels teilzunehmen. Natürlich zeigten sich diese Kreise beim Turnier auch dem Volk, aber wenn es um wirklich wichtige Angelegenheiten ging, um Diplomatie, Verhandlungen und Politik, schottete man sich doch unter seinesgleichen ab.
Es war jetzt nicht so, dass ihnen die Gegenwart dieser vielen hohen und höchsten Herrschaften das Herz in die Hose hätte rutschen lassen und sie die schiere Ehrfurcht sprachlos gemacht hätte, dazu hatten sie schon zu oft hochrangige Menschen behandelt, die genauso unter Gebrechen und Krankheiten litten wie jeder normale Mensch auch. Aber die geballte Anwesenheit mächtiger und einflussreicher Leute ließ erkennen, wie wichtig der Anlass war, zu dem sie sich in Oppenheim versammelt hatten. Zahlreiche Bedienstete boten Getränke an, Wachen mit dem staufischen Königswappen hielten sich unauffällig und dezent im Hintergrund. Hier in der Halle von Burg Landskron spürten Anna und Bruder Thomas zum ersten Mal seit der von einer Brieftaube übermittelten Botschaft, dass es tatsächlich um nichts weniger ging als um die Zukunft der Staufer und damit des Reiches. Wenn der König wirklich im Sterben lag, wie es in der Nachricht an die Medica verklausuliert angedeutet worden war, dann war die gegenwärtige, wenn auch höchst fragile Stabilität des Gebildes, die staufische Herrschaft in Gestalt eines Kaisers, der auf Sizilien oder in Pülle, also am anderen Ende der Welt residierte, und der mit der Aura und Kraft seiner Autorität in Gestalt seines Sohnes Konrad halb Europa zusammenhielt, in größter Gefahr. Es war wie ein Tanz auf einem Vulkan, der jeden Moment ausbrechen und eine ganze Welt verschlingen konnte. Als Anna und Bruder Thomas sich einen vielsagenden Blick zuwarfen, waren sie sich dieser Gefahr blitzartig bewusst, das konnten sie in den Augen des anderen lesen, so gut kannten sie sich. Gleichzeitig spürten sie, welche Last der Verantwortung auf ihren Schultern lag und dass sie sich dieser Verantwortung nicht nur stellen mussten, sondern sich auch nicht von ihr erdrücken lassen durften.
Diese ganzen Überlegungen waren Anna in der kurzen Zeit durch den Kopf geschossen, als sie nach ihrer Ankunft am Eingang standen und der Burghauptmann versuchte, sich einen Überblick zu verschaffen, wo sein Herr, Graf Georg von Landskron, sich aufhielt, um seine sehnlichst erwarteten Gäste zu ihm zu geleiten. Als er ihn endlich am anderen Ende der Halle erspäht hatte, drehte sich der Graf im selben Moment um und erfasste Anna und Bruder Thomas. Die Anwesenden nahmen nach und nach wahr, dass sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf den Eingang konzentrierte, und allmählich erstarben alle Gespräche, und eine merkwürdige Stille breitete sich in der großen Halle aus.
Nur das auf dem Boden ausgestreute Stroh raschelte, als sich eine Gasse öffnete für den Burghauptmann und seine zwei seltsamen Begleiter, die wie Mönche gekleidet waren und einen Ranzen geschultert hatten. Das kleine, dunkelhaarige Mädchen und der schwergewichtige, große Mann mit seiner Tonsur marschierten selbstbewusst durch das Spalier von neugierigen und taxierenden Höflingen, die sie von oben bis unten musterten und gespannt verfolgten, was es wohl mit diesem merkwürdigen Auftritt auf sich haben konnte. Das eine oder andere fragende Flüstern ließ erahnen, dass keiner der Anwesenden über Zweck und Anlass ihres Kommens unterrichtet war.
»Euer Gnaden«, meldete der Burghauptmann in offiziellem Tonfall seinem Herrn mit einer Verbeugung und wies auf das ungleiche Paar in seinen schweren, wollenen Kutten, »Gräfin Anna von Hochstaden und Bruder Thomas sind soeben eingetroffen.«
Jetzt ging doch ein erstauntes Raunen durch die Reihen, das wohl der Erwähnung des hohen Titels von Anna geschuldet war, denn wie eine Gräfin war sie in der Tat nicht gekleidet.
Graf Georg von Landskron und seiner Gemahlin Ottgild, die zum Willkommen der zwei Gäste bereitstanden, war die Freude und Erleichterung vom Gesicht abzulesen. Das anfängliche Unverständnis über den freundschaftlichen Empfang der zwei Ankömmlinge durch den Graf und dessen Gattin wurde nicht geringer, als Anna von beiden umarmt und auf die Wangen geküsst wurde und sie nicht etwa die Knie beugte, sondern die Begrüßung auf gleiche Art erwiderte. Bruder Thomas verneigte sich zwar angemessen und betont respektvoll, aber auch er wurde nicht minder herzlich vom Grafen umarmt
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