Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
Schwester Mathilde öffnete den Mund, als ob sie keine Luft mehr bekäme, und schließlich löste sich ein markerschütternder Schrei aus ihrer Kehle, der alle zusammenfahren ließ, sogar Pater Severin und den Erzbischof.
Die Nonne hob das Bündel mit dem Menschenkind in die Höhe über ihren Kopf, und das Wunder war vollbracht. Das kleine Mädchen ballte die Fäustchen und brüllte aus Leibeskräften mit hochrotem Kopf, als wäre es just in diesem Augenblick wiedergeboren worden.
Von völliger Erschöpfung gezeichnet, reichte die Nonne das Kind an die Äbtissin weiter, die es triumphierend hochhielt. »Es lebt! Gott in seiner unendlichen Gnade hat ein wahrhaftiges Wunder getan! Lobet den Herrn, das Kind lebt!«
Die Eltern stürzten sich auf ihr Kind, die Mutter riss es der Äbtissin aus den Armen und drückte es an sich.
Jetzt gab es für die normalerweise disziplinierten Nonnen und Novizinnen kein Halten mehr. Sie stürmten auf den Altar zu, jede wollte mit eigenen Augen das leibhaftige Wunder sehen. Die Besonnenen unter ihnen hatten Mühe, die vielen Gläubigen vom Altar abzuschirmen, die nun ebenfalls wie eine Meereswoge heranströmten, die sich an den Klippen brach. Ein Tumult entstand, die aufgestaute Spannung entlud sich in lauten Rufen, Drängeleien, Schubsereien, vereinzelten Hieben, erstickten Schreien und gipfelte in kakophonem Gewusel und Gebrüll.
Konrad von Hochstaden hatte genug gesehen. Hinter dem Vorhang stellte sich Pater Severin auf die Zehenspitzen, streckte sich zum Erzbischof hinauf und flüsterte ihm ins Ohr: »Es ist nicht das erste Mal. Schwester Mathilde soll dieses Wunder schon vier Mal vollbracht haben, so wurde mir von der Äbtissin berichtet.«
Der Erzbischof runzelte misstrauisch die Stirn. »Und Ihr sagt, dass diese Nonne auch die Zukunft prophezeien kann?«
»Das hat mir die ehrwürdige Äbtissin versichert.«
»Dann lasst sie zu mir führen. Sofort.«
Er drehte sich um und verschwand durch den Seiteneingang.
Konrad von Hochstaden hatte im Empfangsraum der Äbtissin auf ihrem Stuhl hinter dem Eichenholztisch Platz genommen und wartete. Er nutzte die Zeit, um von Pater Severin zu erfahren, was dessen diverse Spione Neues über den König und seinen Zustand zu berichten hatten. »Es heißt, Konrad IV . liegt auf Burg Landskron im Sterben. Unser Gewährsmann im königlichen Tross leistet gute Arbeit.«
Der Erzbischof nickte zufrieden. »Dann wird der junge Staufer also nicht wie geplant am Hoftag teilnehmen können?«
»Ich kann Euch versichern, dazu wird er nicht in der Lage sein. Wenn er bis dahin überhaupt noch am Leben ist.«
Der Erzbischof strich sich über seinen sorgfältig gestutzten Bart. »Aber es muss so aussehen, als ob er nach langem Siechtum eines natürlichen Todes stirbt. Das ist sehr wichtig, hört Ihr?«
»Ich habe diesbezügliche Anweisungen gegeben, keine Sorge, Eminenz. Unser Mann weiß mit dem Mittel umzugehen und dosiert es entsprechend. Ich habe es für teures Geld aus Venedig besorgen lassen. Ein Mönch soll es aus dem Morgenland mitgebracht haben. Allerdings …« Pater Severin zögerte.
»Ja?«, blaffte der Erzbischof.
»Allerdings soll die Medica von Graf Landskron um Hilfe gebeten worden sein. Sie soll sich bereits mit ihrem Helfer, diesem Mönch, auf den Weg gemacht haben, um nach dem König zu sehen.«
Bei der Erwähnung des Titels »Medica« fuhr der Erzbischof herum und funkelte Pater Severin wütend an. »Dann hat dieser Knochenhauer also doch nicht Wort gehalten und der Medica endgültig das Handwerk gelegt …«
»Doch, hat er. Aber seine Bemühungen waren leider nicht von Erfolg gekrönt, Euer Eminenz«, musste Pater Severin kleinlaut zugeben. »Der besagte Knochenhauer Jeronimus …«
»Lasst die Namen, ich will nur Ergebnisse.«
»… er hat versagt.«
»Hat das Gift nicht gewirkt?«
»O doch. Aber er hat, ohne es zu wissen, anscheinend selbst davon eine Kostprobe genommen, sie ist ihm nicht gut bekommen.«
»Wie das?«
»Die Medica hat anscheinend Verdacht geschöpft und die Becher vertauscht, sagt mir mein Mittelsmann. Der Knochenhauer hat mit seinem Leben bezahlt.«
Der Erzbischof seufzte. »Und wir teuer für einen missglückten Versuch! Aber einen Versuch war es wert. Was macht der Plackerer?«
»Baldur von Veldern und seine Männer treiben weiterhin ihr Unwesen. Er hat sein Winterquartier in einer alten und schwer zugänglichen Ruine in den Wäldern eingerichtet. Der frühere Burgherr soll vor Jahren für seine
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