Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
sich die beiden um den König kümmerten. Er machte sich nützlich, indem er weitere Kerzen entzündete, damit genügend Licht die Untersuchung erleichterte.
Anna ging so zartfühlend vor, wie es nur irgend möglich war. Zunächst überprüfte sie des Königs Herzschlag – sein Herz schlug wie ein Schmiedehammer – und redete ihm leise zu, dass er sich erst einmal beruhigen solle. Sie wartete, bis seine Atemfrequenz sich wieder normalisierte, dann fing sie an, ihn so zu untersuchen, wie sie das bei Medicus Aaron gelernt und inzwischen verinnerlicht hatte. Sie drückte hier und dort, um herauszubekommen, ob und wie stark er Schmerzen verspürte, sah die Zunge an und erkundigte sich nach allem, ohne Rücksicht auf falsche Scham oder Animositäten. Sie fragte nach den Essgewohnheiten, was er getrunken hatte, wie oft und wie heftig er sich übergeben musste, ob er Schwindelgefühle hatte, Fieber oder Krämpfe. Dann bat sie Bruder Thomas, den Kammerdiener zu holen, der praktischerweise gleich vor der Tür zum Gang wartete. Ihn unterzogen sie diskret im Vorraum des Gemachs einer minutiösen Befragung, die nichts ausließ, jedes noch so intime Detail wollten sie wissen, auch Art, Farbe und Geruch der Ausscheidungen. Der Kammerdiener machte auf sie einen eifrigen und konzentrierten Eindruck, seine anfängliche Hochnäsigkeit war nun einem ehrlichen Ehrgeiz gewichen, so gut es ging zu helfen. Er schien ernsthaft besorgt über den Zustand seines Herrn zu sein und war bemüht, mit seinen Auskünften die Ursache und den Beginn der Krankheit so gut wie möglich zu eruieren. Er gab außerdem an, dass der König seit zwei Wochen bis zu dreimal am Tag zur Ader gelassen worden sei, was Anna und Bruder Thomas mit Entsetzen zur Kenntnis nahmen, sich aber nichts anmerken ließen und nur heimlich einen Blick austauschten, der ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck brachte. Nach herkömmlicher Lehrmeinung war ein Aderlass bei jeder Krankheit angebracht, um die Körpersäfte, Gelbe Galle, Schwarze Galle, Blut und Schleim, wieder in ein Gleichgewicht zu bringen, so war es Anna auch als Famula des Infirmarius Pater Urban im Kloster beigebracht worden. Doch dann hatte Anna von ihrem jüdischen Medicus gelernt, dass dies ein Irrweg war. Als Famula des jüdischen Medicus war sie durch dessen Heilerfolge mit ganz anderen Methoden konfrontiert worden und hatte schließlich auch Bruder Thomas davon überzeugt, dass der Aderlass in den meisten Fällen den Zustand eines Patienten eher verschlechterte als verbesserte. Aber diese Meinung behielten sie einstweilen lieber für sich. Ihre neuen Theorien öffentlich zu machen, hätte einen Aufstand sämtlicher Heilkundiger, Bader und Quacksalber zur Folge gehabt und konnte sie Kopf und Kragen kosten, weil sie an den Grundfesten des gängigen Dogmas rüttelten. Dass der Leibmedicus des Königs unbeirrt an der These festhielt, dass nicht falsch sein konnte, was seit Jahrhunderten so praktiziert wurde, war für sie deshalb nicht überraschend.
Bruder Thomas wollte vom Kammerdiener noch wissen, ob sich die Farbe des königlichen Blutes im Laufe der Zeit verändert habe, und dann schickten sie den Kammerdiener wieder hinaus, baten ihn aber, frisches Wasser und Tücher zu holen und sich damit vor der Tür bereitzuhalten, bis sie ihn wieder rufen würden.
Zur abschließenden Beratung beschlossen sie, den Grafen hinzuzuziehen. Sie konnten ihm vertrauen, dieses Vertrauen hatte er schon mehr als einmal gerechtfertigt und unter Beweis gestellt. Der König war in einen unruhigen Dämmerschlaf gefallen, und so zogen sie sich mit Graf Georg in den Vorraum zurück, um ungestört den Stand der Dinge festhalten und über die Konsequenzen reden zu können.
»Vermutest du dasselbe wie ich?«, fragte Anna, und Bruder Thomas zuckte mit den Schultern.
»Ich befürchte«, sagte er und kratzte sich am Kopf, »der König ist vergiftet worden.«
»Das ist auch meine Meinung«, sagte Anna, und sie sahen beide Graf Georg an, der einen bedrückten Eindruck machte und den Kopf schüttelte. »Wenn das stimmt, dann gibt es einen Verräter in der Burg. Oder kann es sein, dass der König schon vergiftet war, als er hier ankam?«
»Vermutlich. Aber wir sollten mit allem rechnen«, antwortete Anna.
»Wird er wieder gesund?«
»Wir werden unser Möglichstes tun.«
Bruder Thomas dachte laut. »Ich befürchte, dass er weiterhin Gift bekommen hat, auf welche Art auch immer, im Essen oder im Getränk. Und dass man beabsichtigt, das
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