Die Rache Der Nibelungen
ihre Erleichterung nur mühsam verbergend. »Danke, mein König.«
»Freu dich nicht zu früh«, knurrte Wulfgar griesgrämig, »dein Prinz wird schon noch kommen.«
Sie lächelte entwaffnend ehrlich. »Mit Sicherheit – und ich werde ihn freudig empfangen.«
Damit verließ sie den Thronsaal, um die Besprechung der neuen Lage den Männern des Hofes zu überlassen. Ihre Schritte brachten sie eilig in das Gemach, wo sie sehnsüchtig aus dem Fenster nach Süden blickte.
Ein neuer Herrscher namens Siegfried? Sie hatte nie von ihm gehört, und doch hüpfte ihr Herz beim Klang seines Namens.
Siegfried. Ein schöner Name. Passend zu blondem Haar und einem weichen Gesicht mit strahlend blauen Augen.
Es war für Xandria keine Frage, dass der Anführer des Söldnerheers der Prinz ihrer Träume war. Was hatte die seltsame Kriegerin im Fiebertraum ihr prophezeit? Erst Waise, dann Königin. Daraus schloss sie, dass Wulfgar sterben würde und der Thron damit an sie fiel. Aus genau diesem Grund hatte sie auch dem Brautwerben so leichtherzig zugestimmt – es würde niemand sie von Xanten holen, solange sie noch Prinzessin war. Das war wider ihre Bestimmung.
Erst musste ihr Vater fallen.
Dann würde sie regieren.
Und danach war Zeit für die Leidenschaft.
Was Island nicht an die Schwerter Xantens verloren hatte, das holte sich der harte Winter. Für Monate war die Insel in Eis gepackt, und wer das Haus verließ, ohne sich von Kopf bis Fuß in Felle zu wickeln, dem fror beim Atmen die Zunge fest. Wann immer die Kälte undurchdringliche Wände aus Schneeflocken vor sich her trieb, fanden sich Männer, die im Lauf erstarrt und erfroren waren – Eisfiguren, mit denen die Götter das Unglück des kleinen Reiches noch zu verhöhnen schienen.
Es zeigte sich nun, dass Eolinds Plan, das Reich um die Felsenburg herum zu konzentrieren, von geradezu seherischer Genialität gewesen war. In den größten Langhäusern, die früher Tavernen und Ställe gewesen waren, konnten sich die Menschen gegenseitig wärmen, und das wenige Brennholz reichte gerade aus. Die Burg selbst war Zufluchtsort von hunderten Heimatlosen geworden, denen die steinernen Mauern Schutz vor dem gierig pfeifenden Wind boten.
Und draußen, außerhalb der Kontrolle Stens und seiner Xantener Lakaien, erstarkte der Widerstand. Die alten, vorgeblich verlassenen Minen boten vielen jungen Männern und Frauen Unterschlupf. Die Kälte blieb ausgesperrt wie der Feind vom Kontinent. Wer eine Waffe hatte, trainierte für den Aufstand. Wer für den Kampf ungeeignet schien, half Erze aus dem Boden zu holen, die verhüttet und dann mit kleinen Booten nach Dänemark geschafft wurden. Es genügte, um bei Dagfinn gerade genug Schwerter zu kaufen, dass es den Spionen Xantens nicht auffiel.
Ein sorgsam gesponnenes Netz von Boten tauschte Nachrichten zwischen dem Stadt-Staat Island und dem gesetzlosen Norden der Insel, von dem niemand wissen durfte. Gelen und Jon waren als enge Freunde des vermeintlich toten Königssohns die Anführer der kleinen, aber entschlossenen Rebellentruppe. Was an ihnen zehrte, waren nicht Kälte und Hunger – es war die Ungewissheit. Den eigenen Männern nicht sagen zu dürfen, dass der Prinz noch lebte und dass er einen Weg finden würde, Xantens Griff um Island zu brechen, war schlimm genug. Doch auch mit dem Wissen um Siegfrieds Leben waren Jon und sein Freund im Zweifel: Was, wenn dem Prinzen etwas zugestoßen war? Sie hatten die Gewitter am Horizont gesehen, in die er mit dem kleinen Schiff gesegelt war. Was, wenn er unter wilde Tiere oder Meuchelmörder gefallen war? Und selbst wenn er gesund und stark war – wie sollte er allein die Vormacht Wulfgars brechen? Es war viel Vertrauen nötig, und in einigen Nächten war zu wenig davon da.
So saßen sie wie jede Nacht mit einem Dutzend Gefährten um ein Lagerfeuer, das sie weit genug in der Mine entzündet hatten, um von draußen nicht gesehen zu werden, aber nah genug am Eingang, um dem Rauch einen unauffälligen Abzug zu geben.
»Wenigstens neigt sich der Winter dem Ende zu«, knurrte Gelen und tunkte hartes Brot in schales Bier. Er hatte in den letzten Monaten deutlich an Gewicht verloren und an Humor.
Jon nickte, die Augen fest auf das Feuer gerichtet. »Warten ist das Schlimmste. Mit Freuden gäbe ich gleich morgen mein Leben im Sturm auf die Burg. Doch hier zu sitzen, den Gestank der Xantener in der Morgenluft zu riechen und auf ein Zeichen des Prinzen zu hoffen, das nagt an meinem
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