Die Rache Der Nibelungen
in das kniehohe Wasser. Gernot hatte seinen Generälen unter großem Protest befohlen, den Xantener ohne Waffen zu empfangen. Das Blutvergießen zu beschränken, das Biest Grausamkeit zu besänftigen, das war vorrangig.
Gernot war bereit, sich Wulfgar auszuliefern. Für Island. Für Burgund. Und für seine Familie. Er hatte keine Furcht.
In diesem Moment trat Elsa neben ihn, und wie zum Hohn durchflackerte ihn nun doch die Angst. »Meine Königin, was tust du hier? Ich hatte doch unmissverständlich befohlen ...«
»... dass ich fliehen soll mit der kleinen Lilja?« Elsa lächelte sanft und von ergebener Ruhe. »Wie kannst du glauben, dass ich dich im Stich lassen würde? Wie wenig wäre ich deine Frau – wie wenig verdiente ich das Leben, das noch folgen könnte?«
Gernot dachte darüber nach, ob er wütend war – oder verzweifelt, weil seine Frau nun dem gleichen Schicksal entgegensah wie er. Aber er spürte die Liebe in ihrem Handeln, und sein Herz konnte nicht froher sein als mit ihr an der Hand. Seit dem Tage, an dem sie aus Burgund geritten waren, hatte Elsa niemals seine Seite verlassen – bei klarem Verstand hätte er gewusst, dass sie so wenig wie er vor Wulfgar fliehen würde.
Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie sacht. »Aber wenn wir sterben, wenn heute der Tag ist – was bleibt dann?«
Elsa nahm seine Hände und rieb sie ein wenig zwischen ihren, um sie zu wärmen. »Sind nicht beide Antworten in tiefster Seele Frieden schenkend? Wenn nichts bleibt, dann ist endlich jener Fluch gebrochen, der unsere Familien verfolgte. Dann erlebt die Welt einen neuen, freien Morgen. Und wenn etwas bleibt, Sigurd vielleicht, dann bleibt auch die Hoffnung, dass er von uns gelernt hat und in ihm unsere Liebe in der Welt bleibt.«
Gernot hatte am Tag zuvor Eolind losgeschickt, mit einem kleinen, schnellen Boot, das hart am Wind segelte. Im Osten an der Xantener Flotte vorbei sollte der alte Freund des Königs reisen, um den Prinzen Sigurd zu finden und für seine Flucht zu sorgen. Flucht wohin? Es war gleich. So weit weg, dass ein Leben Wulfgars nicht reichen würde, ihn zu finden.
»Was ist mit Lilja?«, fragte Gernot leise.
»Ich gab ihr einen Trank, und sie wird schlafen, so sehr die Xantener auch mit den Schwertern klappern«, flüsterte Elsa. Sie legte den Kopf an Gernots Schulter, und der König legte den Arm um sie.
»Dann ist wohl nicht mehr zu tun.«
Sie sahen, wie Wulfgar von seinem Schiff stieg, mit dem harten Schritt eines Eroberers. Die Generäle von Island verbeugten sich vor ihm. Und Wulfgar zog sein Schwert und streckte den ersten gleich nieder. Seine Männer verstanden den Befehl, und es begann das Massaker an Island.
Gernot drehte Elsa zu sich, damit sie es nicht sehen musste. Und so sehr er König war, konnte er doch auch selber nicht hinschauen.
Er schloss die Augen, als die Leiber seiner Männer in den Kies fielen und ihr Blut das Hafenwasser färbte.
Sigurd kratzte sich am Kopf, wo Stroh in seinen Haaren kitzelte. In seinem Mund schmeckte er noch fahl die letzte Nacht, und sein Schädel zahlte den Wein, wie Gelen es prophezeit hatte. Er zwang seine Augen auf, ohne jedoch viel erkennen zu können – um ihn herum war es fast dunkel, und das war vielleicht auch besser so.
Leicht stöhnend richtete der Prinz von Island sich auf und mühte sich, die müden Gedanken und die nackten Gebeine in Einklang zu bringen.
Es roch nach Kot, warm und feucht. Sigurd erkannte in den Lichtstrahlen, die zwischen Holzplanken hereinfielen, dass er sich in einem Stall befand. Ein paar Schritte weg standen zwei kleine Ponys, und drei Hühner staksten gelangweilt umher. Lederzeug hing an der Wand, ein Trog stank nach Essensresten.
Sigurd lag auf einem Lager aus Stroh, welches durch ein paar Bretter vom Rest des Stalls abgetrennt war. Es war weder eine bequeme noch eine sonderlich frische Bleibe, und der junge Prinz war überzeugt, dass es sich hier nicht um das von Jon versprochene Bett handelte.
Liv.
Ihr Name sprang Sigurd in den Kopf, und mit dem Namen kamen trunkene Bilder, Fetzen von Gelächter und süßen Schreien, der Geruch von Schweiß in der Nase und die Lippen an heißen Brüsten.
Sie hatte ihn hinter sich hergezogen, in den Stall, und das mit einer Selbstverständlichkeit, die Gewohnheit verriet. Ihr schmutziges Kleid war ohne sein Zutun von ihren Schultern gerutscht, und ihre Hände hatten schnell seine Männlichkeit gefunden, die trotz des Rausches wild pochend nach ihr
Weitere Kostenlose Bücher