Die Rache Der Nibelungen
»Rücken an Rücken ist die einzige Taktik in so einem Fall, sonst hat man schnell eine Klinge zwischen den Rippen.«
»Ich werde künftig daran denken«, antwortete Sigurd hustend. Sein Hals brannte wie Feuer. »Aber für den Abend war es Aufregung genug. Hast du einen Ort gefunden, an dem wir übernachten können?«
Jon nickte. »Kaum einen Steinwurf entfernt. Ein Langhaus mit vielen Lagern, für kleine Münze. Und am Morgen Milch und Brot.«
Sigurd mühte sich auf die Beine und half Gelen, aufzustehen. »Das klingt gut. Dann werden wir uns den Schlaf gönnen.«
Sie hörten die Tür, und es war die junge Schankmagd, die Sigurd bedient hatte. Sie trat heran und strich ihm mit der Hand vorsichtig über den roten Striemen am Hals. »Wie furchtbar, mein Herr – ich hoffe, Ihr seid nicht arg verletzt.«
Sigurd lächelte verlegen, als er ihre neugierigen hellen Augen sah. »Nicht arg, nein. Ich vertrage so was leicht.«
Die Schankmagd fuhr sich durch das weizenblonde Haar, das strähnig und vom schweren Duft der Taverne getränkt war. »Ich bin Liv.«
»Mein Name ist ... Sig.«
Er konnte aus den Augenwinkeln sehen, wie Jon und Gelen sich zuzwinkerten.
»Nun, guter Sig«, schnurrte Liv und legte Sigurd die Hand auf die Brust. »Für Euer Geld hättet Ihr noch weit mehr als einen Krug Met bekommen.«
»Das erlasse ich Euch gerne«, murmelte Sig. »Es soll mir Ehrensache sein.«
Jon räusperte sich vernehmlich, und als Sigurd ihn ansah, deutete er mit dem Daumen die Straße hinunter. »Wir müssen dann auch mal los – es ist das Haus am Ende der Straße. Nur für den Fall ...«
Gelen machte keine Anstalten, Jon zu folgen – er war viel zu neugierig, wie Sigurd sich bei Liv zum Narren machte. Aber Jon packte ihn kräftig am Arm und zog ihn weg. Sie nahmen auch das Gepäck mit.
Sigurd wandte sich wieder der Schankmagd zu, die auf einmal so nahe vor ihm stand, dass ihre Nasen sich fast berührten. »Aber mein Herr, mit Schulden kann ich Euch unmöglich ziehen lassen.«
Natürlich kannte Sigurd die Geschichten von den Seefahrern und den Frauen in den Häfen. Genau darum war er ja nach Dänemark gekommen. Aber seine Gedanken verbanden noch nicht die Geschichten von den trunkenen Festen mit dem zarten Geschöpf, das vor ihm stand. »Ihr könnt mir gerne etwas vom Rost für die Nacht einpacken.«
Liv kicherte ein wenig, dann stahl sie ihm einen schnellen Kuss. »Wie wäre es, wenn ich Euch etwas gäbe, was Ihr zur Nacht auspacken könnt?«
Elsa strich ihrer Tochter zärtlich über den Schopf. Lilja murmelte noch etwas, obwohl sie bereits eingeschlafen war. Im Arm hatte sie eine einfache Puppe, die seit Kindestagen ihre Begleiterin war. Wie oft hatten Hofdamen versucht, dem Kind eine schönere, edlere Puppe anzudienen, doch Lilja war ein treues Kind.
Elsa zog der Kleinen vorsichtig das Band mit dem Dryk-Horn über den Kopf. Sie wollte nicht, dass Ilja sich im Schlaf damit würgte. Sachte legte sie den Glücksbringer auf den Boden neben das Bett.
Dann stand sie auf, um zu ihrem Mann zu gehen.
Die Burg wirkte wie ausgestorben. Der König hatte befohlen, dass die Mitglieder des Hofstaats den Tag bei ihren Familien verbringen sollten oder gemeinsam bei einem guten Essen. Es war ihnen auch freigestellt, die Flucht nach Norden anzutreten, in der Hoffnung, den Xantenern lange genug zu entgehen, bis deren Blutdurst gestillt war.
Niemand hatte das Angebot angenommen.
Elsa ging lautlos durch die scheinbar endlosen und immer gleichen schwarzen Gänge, der kalte Vulkanfels dunkel und stumm. Das Flackern und Fauchen einiger Fackeln waren die einzigen Geräusche, wenn man mal vom Rauschen des Meeres absah, das die ewige Melodie zum Bilde Islands spielte. Nach ein paar Jahren nahm man es gar nicht mehr wahr, wie den eigenen Atem.
Siiigurd ... Siiigurd ... Siiigurd
...
Es waren Stimmen, so leise wie das Meer, und sie verwehten wie der Wind, bevor man sie wirklich hörte.
Elsa hielt inne. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, und er hatte nichts mit den kühlen Gängen der Burg zu tun.
Sie drehte sich um. Nichts. Drehte sich wieder um. Nichts. Und doch – etwas.
Bluuut vergossen ... Bluuut bezahlt
...
Ihr Herz raste. Sie hatte die Stimme diesseits ihrer Träume so lange nicht mehr gehört. Stimmen aus der Vergangenheit, aus dem Dunkel. Geboren aus dem Bösen, das ihr Vater gewesen war.
Es bedurfte all ihrer Kräfte, den Stimmen entgegenzutreten. »Was wollt ihr? Was wollt ihr
noch
?«
Das letzte Bluuut ... das
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