Die Rache Der Nibelungen
allerletzte Bluuut
...
Es waren die Stimmen der Nibelungen, die verächtlich und gierig raunten. Elsa wunderte sich, denn eigentlich waren die niederträchtigen Waldwesen von Odin an den Rhein verbannt worden. So hatte es ihr Vater, Hagen von Tronje, zumindest immer erzählt.
Doch wie es schien, konnten die Nibelungen dem Blut folgen, dem Schicksal, oder dem Fluch. Die Erwartung von Tod und Elend hatte ihre flüchtigen Schatten schaudern lassen, und in der Erde waren sie gereist, unter den Wassern und durch die Berge.
Die Ahnung einer Gestalt huschte an Elsa vorbei, doch ihr Auge war zu langsam, sie zu fassen.
»Wird es vorbei sein?«, fragte sie mit zitternder Stimme. »Wird es dann
endlich
vorbei sein?«
Dein Blut hat es begonnen. Dein Blut! Deinblutdeinblutdein-blut!
Sie war sicher, dass außer ihr niemand die Stimmen hören konnte. Sie waren so sehr in ihrem Kopf wie sie in ihrer Seele waren. Und doch – nicht weniger real als der kalte Stein unter ihren Füßen.
Elsa hatte gehofft, nie wieder die Bürde ihres Vaters tragen zu müssen. Aber Hagen hatte Königreiche mit sich gerissen im Versuch, die Macht bei Burgund zu halten. Und als seine Tochter zahlte sie nun die Schuld, die ihrem Vater durch die Klinge Gunthers erspart geblieben war.
Elsa beschloss, nicht mehr auf die Stimmen zu hören, die wie Zuschauer zu einem grausamen Schauspiel angereist waren. Mit festem Schritt machte sie sich wieder auf den Weg zur Burgmauer, wo Gernot wartete.
Er brauchte sie jetzt.
Es war einerlei, ob die Xantener mit hundert oder mit zweihundert Schiffen kamen – Island hatte ihnen nichts entgegenzusetzen. Es war ein Land ohne Krieg seit Generationen, fernab der gierigen Blicke ruchloser Könige. Es nahm mehr, als es gab, und ein Eroberer hatte wenig Beute zu erwarten. Keine Pracht war hier zu erobern, keine Juwelen für die Schatzkammern in der heimischen Burg. Und so wie die Herrscher von Island kaum die fremden Heere fürchteten, so hatten sie niemals Ansprüche jenseits ihrer Grenzen erhoben. Die Schmieden hatten niemals bis in die frühen Morgenstunden Funken gespuckt, um starken Kriegern Eisen in die Hand zu geben. Der Stolz Islands war niemals das Blut seiner Feinde an den eigenen Schwertern gewesen.
Island – das war Frieden gewesen.
Gernot stand auf der Mauer und sah die fünfhundert Schiffe Wulfgars, die sich gegen schwere See in den Hafen kämpften. Es gab kein Bemühen, sich zu verstecken, vielleicht an der Ostseite der Insel anzulegen, um dann über die Hochebenen anzugreifen. Die Streitmacht Xantens kam als Sieger, noch bevor der Krieg begonnen hatte. Es war kein Angriff, es war eine Invasion.
Es wäre an Gernot gewesen, zusammen mit Eolind, Elsa und den Generälen am Strand zu stehen, um Wulfgar zu empfangen. Keine Kriegserklärung war ausgesprochen worden, und ein König durfte einen König erwarten, der ihn grüßte.
Doch Gernot wusste, weshalb Wulfgar gekommen war. Nicht Island reizte ihn, nicht die Minen. Sie waren allenfalls Beigabe, so wie man einer Braut das beste Pferd der Familie mitgab.
Wulfgar wollte nicht Land – er wollte Gernots Tod. Den Tod der ganzen Familie. Dann würde er sich Xanten endlich rechtmäßig zu eigen machen können, am Tisch des Frankenkönigs Theudebald hätte er Respekt verdient, und mit den Römern konnte er sogar über Burgund verhandeln. Ein großes Reich, von den römisch kontrollierten Gebieten im Süden bis an die Küste im Norden. Ein machtvoller Nachbar der Franken.
Doch es würde kein süßer Sieg für den Xantener König werden – die Generäle empfingen ihn, um ihn wissen zu lassen, dass die Felsenburg verriegelt war, dass kein Rammbock einen Eingang würde freistoßen können. Wollte Wulfgar die Burg, dann musste er seinen Bewohnern dabei zusehen, wie sie verhungerten.
Gernot musste bitter lächeln, als er daran dachte, mit wie wenig Recht sich Wulfgar so viel Besitz angeeignet hatte. Er dachte auch über die Frage nach, ob es seine Pflicht gewesen wäre, in Voraussicht eines solchen Tages ein Heer aufzustellen und zu führen. Doch dann wären die letzten siebzehn Jahre eine Qual gewesen, ein Herrschen im Schatten von Blut und Eisen. Das Land wäre an den Waffen arm geworden und vor Furcht blind und wütend.
Nein, er war ein guter König gewesen. Und er würde es bis zu seinem letzten Tage sein. Ob dieser nun heute war – oder morgen.
Das erste Schiff, das große Königsboot, lief knirschend auf Grund, und die persönliche Garde Wulfgars sprang
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