Die Rache Der Nibelungen
auf etwas zu warten, das unausweichlich war?
Wulfgar hatte sich entschlossen, Gernot vom Vorteil einer schnellen Lösung zu überzeugen. Seine Generäle hatten ein gutes Dutzend Frauen und Kinder zusammengetrieben und direkt vor dem Absatz der großen Freitreppe zur Burg auf die Knie gezwungen. Schweigend hockten sie seit Mittag dort, damit Wulfgar sicher sein konnte, dass Gernot auf sie aufmerksam geworden war. Eine der Frauen war bereits bewusstlos auf die Steine gesunken – der Kälte und dem Hunger hatte ihr geschundener Körper nichts mehr entgegenzusetzen.
Die Krieger, die die Isländer bewachten, ließen ihren Unmut über den öden Dienst in Flüchen, Spuckereien und Tritten aus. Sie hielten sofort inne, als ihr König herbeitrat.
Missmutig sah Wulfgar die uneinnehmbare kalte Felswand hinauf, in der die Fensterlöcher ihn zu verhöhnen schienen.
»Siehst du mich, Gernot?«, schrie er aus vollem Hals, und seine Stimme hallte durch den Fjord, der den Hafen und die Festung schützend umgab. »Siehst du meinen Sieg?«
Es kam keine Antwort – es gab ja auch nichts, was der König der feigen Isländer hätte antworten können. Mochte er ruhig zitternd in seinen Gemächern die Laken nässen, während seine Untertanen starben.
Wulfgar, gehüllt in einen weichen Mantel aus Schaffell, zog das kleine Messer, das er hinter seiner Gürtelschnalle versteckt hielt, hervor. Ein Schwert wäre sicher beeindruckender gewesen, eines Königs würdig. Aber hier ging es um kalte Entschlossenheit, um Leid, um Stärke.
»Ergib dich mir, du feiger Hurensohn von einem König!«, brüllte Wulfgar nun.
Er packte den Kopf einer jungen Frau am Haar, zog ihn zurück, sodass ihr Hals entblößt war. Ein silbernes Amulett in Form der Sonnenscheibe hing an einer Lederschnur, und Wulfgar riss es grob an sich. Es war genau die Sorte Tand, die seiner Tochter Xandria gefiel.
Seine kleine Klinge schnitt tief genug, das Blut sprudeln zu lassen, ohne die Frau sofort zu töten. Die Wunde spie das Leben der Isländerin in zuckenden Fontänen aus. Die anderen Gefangenen litten leise, nur heimlich schluchzend.
Wulfgar ließ los, und die Frau hatte noch genug Leben in sich, um nicht nach vorne zu sacken. Er hielt die Hände mit dem Messer, alles in warmes Blut getaucht, nach oben.
»Siehst du es, Gernot? Das Blut an meinen Händen – an deinen Händen! Mein Messer ist dein Messer! Morgen werden es zwanzig sein. Übermorgen dreißig. Rechne dir selber aus, wann dein lächerliches Land keine Seele mehr kennt.«
Dann machte er sich daran, die anderen Isländer zu entleiben.
Die Wut Sigurds, ohne Ziel und Richtung, war nach zwei Tagen auf See einer müden Dumpfheit gewichen. Er starrte nur noch auf den Horizont, die Arme schlaff an seiner Seite. Gegessen hatte er seit der Abreise aus Dänemark nicht mehr, und in den Nächten legte er sich zwar auf ein Lager, doch seine Augen blieben offen.
Am dritten Tag saß er wieder am Bug des Schiffes, die Beine über die Reling hängend, sodass die Gischt sie durchtränkte. Eolind stellte sich neben ihn und blickte ebenfalls voraus.
»Was hofft Ihr zu finden, mein Prinz?«
Vielleicht hatte Sigurd Vernunft angenommen, vielleicht war er nun zu überzeugen, dass eine Umkehr keine Schande war, sondern die Rettung. Doch der Thronfolger schüttelte den Kopf. »Spar dir jedes Wort, das mich umstimmen soll«, sagte er. »Island bleibt das Ziel.«
Eolind nahm einen getrockneten Fisch aus einem kleinen Beutel, hielt ihn Sigurd hin, doch dieser winkte ab. »Schwach vom Hunger werdet ihr Wulfgars Heer kaum entgegentreten können.«
Sigurd schwieg.
Es war in diesem Moment, dass Eolind beschloss, den Prinzen mit dem Furchtbarsten zu konfrontieren, das ihm denkbar schien – der Wahrheit. Sie mochte hässlich sein, aber vielleicht war sie auch das, was den letzten Rest isländischer Geschichte retten konnte.
Eolind ließ den Fisch in Sigurds Schoß fallen. »Esst, und ich will Euch eine Geschichte erzählen, für die Ihr mich hassen werdet.«
Sigurd sah Eolind müde an. »Ich hasse dich nicht, guter Freund, ich denke nur ...«
»Ihr hasst mich nicht jetzt – doch wenn Ihr mich frei reden lasst, dann wird es sich ändern, bevor die Gräten des Fisches freigenagt sind«, unterbrach Eolind.
Nun hatte er Sigurds Neugier geweckt, und langsam begann der Prinz, den Fisch zu verspeisen. »Nun?«
Eolind setzte sich auch auf das Deck des Schiffes, den Rücken jedoch zur Reling. Er hatte die Seefahrt immer gehasst.
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