Die Rache Der Nibelungen
»Vor über fünfzehn Jahren kamen der König und seine Königin an unseren Hof, als rechtmäßige Erben des Throns. Sie ließen Hass und Krieg hinter sich.«
Sigurd nickte langsam. »So weit kenne ich die Geschichte.«
Eolind schluckte. »Doch ein Geheimnis brachten sie mit – ein Geheimnis, gehütet wie kein zweites im Reich.«
Sigurd spuckte eine Gräte ins Wasser. »Ein Geheimnis, von dem ich nichts weiß?«
»Ein Geheimnis – das Ihr selber seid«, sagte Eolind.
Sigurd drehte den Kopf zur Seite, um seinem Mentor in die Augen zu sehen. »Was soll das heißen?«
Eolind sah keinen Sinn darin, viele Worte zu verlieren. »Das Kind in ihren Armen, mit dem sie durch das Burgtor traten – es war nicht ihr eigenes.«
Ein, zwei Sekunden vergingen, bis Sigurd verstand. »Das ... das ... das ist nicht wahr.«
Er sprach die Worte sehr leise, als hoffte er, dadurch einer Antwort zu entgehen.
»Ein blonder Knabe eines dunklen Paares«, fuhr Eolind fort. »Es wurde geraunt bei Hofe, aber niemand hatte den Mut, die Zweifel zu äußern. Noch vor dem ersten Winter zog Gernot mich in sein Vertrauen. Ich hatte in den Augen des Kindes – in Euren Augen – den Vater sofort erkannt.«
Wütend warf Sigurd den Rest des Fischs ins Meer und rieb die fettigen Hände an seiner Hose ab. »Was willst du mir da aufbinden, Eolind? Dass mein Vater und meine Mutter mich am Wegesrand gefunden haben? Dass ich nicht edlen Blutes bin?« Ein Gedanke flackerte in seinen Augen auf. »Das ist es! Du willst mich durch diese Lüge zum gemeinen Bauern reden, auf dass ich von meiner Rache ablasse und Wulfgar keinen Grund findet, mich als Teil der Blutlinie zu richten! Ha!«
Er sprang auf und ging wütend hin und her. Das Feuer war wieder in seinen Leib gefahren.
Eolind blieb sitzen. »Wäre es so – alles wäre unendlich einfacher. Aber wenn ich schon die Wahrheit sage, dann muss es gleich die ganze sein. Und die ganze Wahrheit entbindet euch nicht von der Pflicht, den Thron Islands zu verlangen.«
»Du sprichst wirres Zeug«, rief Sigurd erregt. »Wäre ich nicht der Sohn Gernots und Elsas – ich wäre auch nicht der Thronfolger Islands!«
Langsam schüttelte Eolind den Kopf. »Es scheint mir ein übler Scherz des Schicksals, dass ich Euch widersprechen muss. Ihr seid vom Blute Gernots, doch nicht von seinen Lenden.«
Sigurd ging vor Eolind in die Knie und sah seinem alten Lehrmeister wütend in die Augen. »Sprich schnell und klar, Eolind, sonst werfe ich dich über Bord für dein Gerede.«
Eolind wich dem Blick nicht aus. Er spürte die Erleichterung in ihm wachsen, die mit der Wahrheit kam. »Eure Mutter hat Euch erzählt von Siegfried, dem Schmied, der einst nach Burgund kam, um die Prinzessin Kriemhild zu freien, die Schwester Gernots.«
Sigurd nickte. »Sie sprach von einer Liebe, so groß wie die ihre zu Gernot.«
»Eine Liebe gegen das Schicksal und gegen die Götter, denn Siegfried hatte sein Herz der Brunhilde von Island versprochen.«
Sigurd runzelte die Stirn. »Brunhilde? Die alte Königin?«
»Nicht damals. Jung war sie und wild, mit einem Herzen aus Feuer, das für Siegfried brannte.«
»Davon hat meine Mutter nicht erzählt.«
»Das denke ich mir«, murmelte Eolind. »Es ist ein düsteres Kapitel im Buch der Familie, und es durfte nicht darüber gesprochen werden. Wie hätte man erklären sollen, dass Brunhilde den Gunther ehelichte, während ihre Liebe Siegfried dessen Schwester zur Frau nahm?«
»Das ist erstaunlich, was du sagst – aber was hat es mit mir zu tun?«
»In einem Strudel aus Leid und Verrat ging alle Liebe damals unter, so hat man es mir erzählt«, fuhr Eolind fort. »Brunhilde, gut in der Seele, aber vor Verzweiflung rasend, nutzte Gunthers Schwäche, um Siegfrieds Tod zu fordern. So geschah es auch, und sein Reich Xanten ging an Kriemhild.«
»Auch das ist mir bekannt«, sagte Sigurd. »Sprich endlich das, was neu ist an der Geschichte.«
»Zu seiner Zeit«, hielt Eolind dagegen. »Ich weiß nicht, ob ich je wieder die Gelegenheit erhalte, Euch davon zu berichten. Und daher will ich es sorgsam tun. Also: Brunhilde ging zu den Göttern, nachdem Siegfried gefallen war. Gunther nahm es den Verstand. Kriemhild ging nach Xanten, um dort zu herrschen. Doch in ihrem Herzen war nur noch Hass, und unter ihrem Herzen – wart Ihr.«
Sigurd sackte auf das Deck, als hätten seine Beine ihren Dienst verweigert. »Kriemhild von Xanten?«
Eolind nickte. »Eure Mutter. Und Siegfried Euer Vater. Wenn ich
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