Die Rache Der Nibelungen
und die Rückreise antreten. Sigurd und seine Gefährten mussten das erste Schiff dann allein den letzten Teil des Weges steuern – und für das Privileg bezahlten sie einen ungehörigen Preis. Jon kaufte bei einigen Römern auch noch ein paar Schwerter und Dolche.
Alles in allem dauerte es kaum zwei Stunden von der Begegnung Sigurds und Eolinds bis zur geplanten Abreise. Jon spürte die Ungeduld des Prinzen – hätte es eine schnellere Ankunft versprochen, der Prinz wäre nach Island geschwommen. Jon selbst war weniger getrieben. Er hatte keine Familie im Königreich, und selbst wenn: Welcher Wert bestand darin, die Leichen zu suchen?
Ein paar ägyptische Seefahrer lösten die Taue, mit denen die beiden Schiffe befestigt waren, und drückten dann lange Holzstangen gegen den Steg, um Abstand für die Ruder zu gewinnen.
Sigurd stand wieder am Bug, grimmige Entschlossenheit im Gesicht. Jon, Gelen und Eolind saßen schweigend neben dem Mast. Sie hatten Proviant besorgt, aber keinem von ihnen war nach essen zumute.
Auf dem Steg waren nun eilige leichte Schritte zu hören. »Sig!«
Der isländische Prinz riss seine Augen vom schwarzen Horizont los und sah Liv, die auf das Schiff zugeeilt kam. Er konnte sich nicht vorstellen, was die Schankmagd trieb, aber auch an sie wollte er nun keine Zeit mehr verschwenden. Von der Reling aus hob er die Hand in einem stummen Abschiedsgruß.
Zuerst schien es, als wollte Liv ebenfalls winken, doch dann erkannte Sigurd, dass sie ihm etwas zuwarf. Er fing es, bevor es dem Wasser anheimfiel.
Es war sein kleiner Beutel mit den Münzen, den sie ihm in der gemeinsamen Nacht genommen hatte. Er hatte kein Gewicht verloren.
»Es tut mir leid«, rief Liv. »Seit Tagen wollte ich dich wiedersehen, um dir den Beutel zurückzugeben. Es war nicht recht von mir, ihn zu nehmen.«
Obwohl seine Gedanken sich an die Heimat klammerten, berührte Liv etwas in Sigurds Herz. »Ich danke dir«, rief er. »So kann ich dich als ehrliche Seele in Erinnerung behalten.«
Sie stand etwas verloren am Ende des Stegs, und in der Dunkelheit war sie kaum zu erkennen. Nur ihre zuckenden Schultern verrieten, dass sie weinte. Sigurd hatte keine Ahnung, warum.
»Werde ich dich wiedersehen?«, rief sie noch, und es war mehr eine Bitte als eine Frage.
Es wäre leicht gewesen, zu lügen. Niemand hätte es ihm verübelt. Doch Sigurd wollte Liv den Respekt der Ehrlichkeit erweisen, so wie sie es gerade getan hatte. »Nein«, rief er. »Wohl nicht.«
Er war froh, dass die Nacht ihn verschluckte und dass er Abschied nehmen konnte, ohne ihr in die Augen sehen zu müssen.
Wulfgar war ein Mann, der seinem Namen gerecht wurde – ein wildes Tier, getrieben von der Lust nach Blut, und keinen geringeren Preis nehmend als den Sieg. Es war mehr als sein Schicksal zu herrschen – es war seine Pflicht. Wenn etwas zu knechten war, dann musste es geknechtet werden. Legenden erzählten von Krieg, nicht von Frieden. Und eine Legende wollte er sein, der König von Xanten.
Wulfgar sprang wieder von seinem Boot, das er zu seinem Hauptquartier erkoren hatte, solange die Felsenburg der Isländer nicht genommen war. Das kalte Wasser drang in seine Stiefel wie tausend winzige Dolche, doch er ignorierte es. Er konnte seine Füße in das heiße Blut der sterbenden Bewohner Islands tauchen, wenn er wollte.
Die Krieger, die am Kiesstrand vor dem Schiff Wache hielten, verbeugten sich ehrerbietig. »König.«
Wulfgar schenkte ihnen keinen Blick. Sein Auge klammerte sich an die schwarze Burg, die die Isländer vor Jahrhunderten aus dem Vulkanfels geschlagen hatten. Diese verfluchte Insel mochte nur Kälte und Schafscheiße zu bieten haben – aber die Burg war ein stattlicher Anblick. Würdig eines Königs – würdig eines Xantener Königs!
Sie hatten alles versucht, um den Sitz Gernots einzunehmen. Weder mit Rammböcken noch mit Fackeln war dem großen Flügeltor beizukommen, das den einzigen Zugang darstellte. Seit Tagen hatte kein Mensch die Burg mehr betreten oder verlassen. Wulfgar konnte nicht wissen, wie lange die Vorräte der Isländer reichen würden. Es war ihm auch egal – irgendwann würden sie erschöpft sein. Und so lange konnte er warten.
Es wunderte den Xantener, dass Gernot die Niederlage so herauszögerte. Auf Hilfe konnte er kaum hoffen, und dass der Winter die Invasoren schreckte, war nicht einmal im Fiebertraum zu erwarten. War es nicht besser, sich den siegreichen Schwertern zu ergeben, als eingesperrt in Angst
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