Die Rache Der Nibelungen
kleinen Maße die Not der Xantener zu lindern. Es war Hede allerdings schleierhaft, wieso das in persönlicher Anwesenheit geschehen musste. Leichter hätte man ein paar Soldaten mit Brotlaiben und kleiner Münze losgeschickt, den Menschen zu helfen.
Draußen hörten Hede und Xandria, wie ihre Garde grob die Dorfbewohner verscheuchte, die in der Hoffnung auf Almosen zur Hütte drängten.
Xanten war ein armes Reich, seit Jahren schon. Arm nicht nur an Äckern und Herden, auch arm an Hoffnung. In Fülle hatte es nur grausame Herrscher kennengelernt, seit vor zwei Generationen der gerechte Siegmund auf dem Schlachtfeld gefallen war. Seither waren die Ernten immer dürftiger ausgefallen, die Steuern aber immer höher. Nicht, dass es Gesetze gab, die einen gerechten Satz festlegten – seit dem Abzug der Römer war die Verwaltung weitgehend zum Erliegen gekommen, und jeder Herrscher nahm sich, was er brauchte, und manchmal mehr. Mit der Drohung des Schwertes – oder mit seinem Einsatz.
»So hat der kleine Wicht es wenigstens bald überstanden«, versuchte Hede sich in Mitgefühl, das ihr fremd war, wenn es um das gemeine Volk ging.
Xandria wusch ihre Hände in einer kleinen Holzschüssel, wenngleich das trübe Wasser kaum Säuberung versprach. Sie rieb sie an ihrer Schürze trocken. »Der Tod des Kindes ist nicht meine größte Sorge. Es ist die Krankheit. Sie wird von Haus zu Haus ziehen, von Dorf zu Dorf. Und sie wird nichts hinterlassen als Leichen. Findet sie keine Kinder mehr, wird sie sich an den Eltern gütlich tun.«
Es war kein Wunder, dass in den ausgelaugten Dörfern neben dem Hunger und der Armut auch die Krankheiten grassierten, von der Cholera bis zur Pest. Typhus raffte die Menschen dahin, bevor es Aussatz oder die vielen Geschlechtskrankheiten taten.
So wie die Burgen mit Mauern und Palisaden Feinde abwehrten, so war ihre Aufgabe auch, die Krankheiten vom Adel fernzuhalten. Wer Ausschläge zeigte oder wem die Finger faulten, der wurde am Burgtor von den Wachen abgewiesen.
Hede hatte kein Verständnis, dass Xandria ihre sicheren Gemächer immer wieder verließ, um sich in voller Kenntnis der Gefahren den zerlumpten Menschen auszusetzen.
Seufzend erhob sich die Prinzessin, und die Mutter des Jungen, die bereits den nächsten Säugling an der Brust hielt, kam demütig näher. »Meine Herrin, was könnt Ihr mir sagen?«
Xandria sah zu Hede, doch die Antwort war nicht zu vermeiden. »Halte deinen Sohn warm, gute Frau, gib ihm Kräuter und Suppe, solange er den Mund noch öffnen kann. Zwei, drei Tage noch, dann wird der Herrgott ihn zu sich holen.«
Die Frau – nicht älter als Xandria, doch durch Schmutz und hartes Leben zum alten Weib geworden – nickte ohne sichtbaren Schmerz. »Das dachte ich mir schon. Wir werden ihn dann vergraben.«
»Es ist nicht das erste Kind, das du der Erde übergibst, oder?«, fragte Xandria vorsichtig.
Die Frau lachte bitter, kaum einen Zahn im vereiterten Mund. »Vier starben mir weg, bevor ich sie auf die Welt bringen konnte, und weitere drei, kaum dass ich sie aus dem Becken gepresst hatte. Fünf sind mir geblieben. Doch sage keiner, ich sei nicht fromm – ein jedes hat ein kleines Kreuz im Garten bekommen.«
Xandria schüttelte den Kopf. »Du wirst den Jungen nicht begraben, hörst du? Pack seine Leiche, wenn es so weit ist, auf einen Stapel Holz und zünde den Stapel dann an. Auch die Kleider und das Laken, in das er seit Tagen geschwitzt hat.«
Die Stimme der Prinzessin hatte unversehens einen scharfen Ton angenommen, von dem sie wusste, dass er keinen Widerspruch duldete.
»Verbrennen? Aber Euer Hoheit – der Junge ist getauft! Nie könnte ich ihn nach den alten Riten in die Flammen geben!«
Die Prinzessin atmete tief ein. Sie kannte das Problem. Xanten war in den letzten zwanzig Jahren fast komplett zum Christentum übergetreten. Das heilige Wort hatte sich von Rom aus gen Norden verbreitet, und die kurze Herrschaft Kriemhilds von Burgund war hier der Zündfunke gewesen. Sicher hatte der christliche Glaube viel Gutes bewirkt – aber die Tatsache, dass die Leichen nicht mehr verbrannt wurden, gehörte nicht dazu.
»Das hat nichts mit den Riten zu tun«, erklärte Xandria deshalb, »sondern mit der Krankheit.«
Die Frau nickte, doch Widerstand war in ihrem Blick, und Xandria merkte es. »Ich werde einen Soldaten schicken, wenn es soweit ist. Er wird vermelden, ob du meine Anweisungen befolgt hast.«
Die Prinzessin warf Hede einen Blick zu – es war
Weitere Kostenlose Bücher