Die Rache Der Nibelungen
Zeit zu gehen. Auf dem Weg aus der Hütte stolperten sie fast über ein ausgemergeltes Schwein, das mit der Schnauze im Schlamm vor dem Eingang wühlte.
»Ihr habt der Familie sicherlich einen großen Gefallen getan«, sagte Hede vorsichtig. »Nur Dank habt Ihr dafür nicht bekommen.«
Xandria sah sich um – das kleine Dorf war eine Ansammlung jämmerlicher Hütten, mit noch jämmerlicheren Bewohnern. »Dank ist nicht der Zweck meines Handelns. Was mich mehr erzürnt ist die Sinnlosigkeit. Jeder Kranke zieht zwei nach sich, und wer nicht siech ist, den holt sich der Hunger.«
»Das Schicksal ist mitunter grausam«, sagte Hede und wedelte mit dem Taschentuch ein paar Fliegen fort.
Xandria sah ihre Hofdame an, als habe sie sich verhört. »Schicksal? Hede, das Elend hier ist hausgemacht! Mit dem Prunk des Hofes bezahlt! Wenn das Volk dem König gehört, dann geht er wahrlich schlecht mit seinem Besitz um.«
Sie staksten durch den Morast zu dem Holzkarren, an dem die Soldaten darauf warteten, die Frauen wieder in die Burg zu bringen.
»Ich bin sicher, der König wird aus Island reiche Beute bringen«, begann Hede, »und mit dem Gold wird es möglich sein ...«
»Island?«, unterbrach Xandria. »Der Sache ist nicht gedient, wenn wir unsere Kinder mit dem Brot füttern, das wir aus Händen anderer Kinder gerissen haben. Der Hunger jenseits der Grenzen ist nicht erträglicher als der eigene!«
Hede seufzte wieder. Für eine Prinzessin war Xandria zu klug. Und zu vorlaut. Und zu eigensinnig.
Es würde schwer sein, einen Prinzen für sie zu finden.
Die Nibelungen glitten durch Wasser wie durch Stein, und einem Schwarm Fische gleich hatten sie seit Tagen Sigurds Boot umkreist. Die Götter hielten den Sturm aufrecht, und ohne Hauptsegel war jede Küste unerreichbar.
Die Geistwesen, deren Sinn immer noch nach dem Ende der Blutlinie Siegfrieds gierte, tanzten zwischen den Wellen, leckten am geteerten Holz des Schiffes und kicherten, wenn der Erbe von Island immer wieder stöhnend über das Deck kroch, ohne Essen, ohne Wasser, ohne Richtung. Die Kleidung klebte salzverkrustet an seinem geschwächten Körper, und das steife Tuch rieb Wunden in seine Haut, in denen sich das Meer festfraß.
Die Nibelungen konnten Sigurd nicht töten – die Götter hatten es ihnen verboten. Ihre Aufgabe war es, einzuflüstern, zu beobachten, gefährliche Gedanken zu säen, deren Ernte Blut und Schande waren. Die Ehre Elsas und Ger-nots hatte ihnen über die Jahre Siegfried, den sie Sigurd nannten, vorenthalten, aber nun war Rache im Herzen des Jungen, und wenn er starb, war der Fluch gebrochen.
Es brauchte nur noch wenig. Zwei Tage ohne frisches Wasser vielleicht, ein Sturz über Bord im Hungerwahn – ein weiterer Sturm? Hier, auf dem Meer zwischen den Reichen, waren die Unwetter reichlich und tückisch.
Eine Windböe traf das Schiff, aber kein Segel mehr, das sie antreiben konnte. Den Mast mit den Resten hatte es längst über die Reling gespült. Dafür hatten die Wellen nun am Bauch des Schiffes freies Spiel, und das Ruder schlug schon seit Tagen nur noch hilflos hin und her.
Die Nibelungen wurden unruhig. Zweimal schon waren Händler nah genug gekommen, um Sigurd fast zu entdecken – und zu retten. Doch die Rache hatten sie verdient in langen Jahren. Jetzt musste Sigurd sterben! Es musste geschehen, was schon weiland in Gran gefordert worden war. Das letzte Blut des Xantener Königs auf der Erde!
Eine Welle an die Breitseite des Schiffes ließ es fast kentern, und gieriges Wasser leckte erneut an Sigurds Körper, zog ihn mit vielen Händen zum Meer. Müde grunzend griff der Prinz um sich, kaum noch zu einer Regung fähig. Ein altes Seil, mit dem er sich vor zwei Tagen an die Stufen unter Deck gebunden hatte, rettete ihm das Leben, an dem er in diesem Moment nicht mehr hing.
Auch die Götter schienen auf der Seite der Nibelungen. Unablässig schlugen Blitze vom Himmel herab, brüllte der Donner übers Meer, als wolle er den schwachen Prinzen zu sich rufen. Es gab keinen Zweifel – Odin wollte Sigurds Tod, und seine Geduld war begrenzt.
Das Flüstern der Nibelungen, ihr Kichern und siegessicheres Feixen wurde lauter: Aus der Entfernung sahen sie eine Welle heranrollen wie eine riesige Mauer aus Wasser, auf der weiße Dämonen tanzten und die sich neigte wie ein Dryk im Sprung auf sein Opfer.
Drei, vier Blitze hintereinander. Ein Zeichen, wenn nichts sonst.
Sigurd zwang seine verkrusteten Augen auf. Er sah die Welle kommen,
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