Die Rache Der Nibelungen
Knochen und über die Tatsache, dass es Sigurd tatsächlich nach Britannien geschafft hatte.
»Doch du scheinst mir so wenig hier heimisch zu sein wie ich«, bemerkte der Prinz und hoffte, dass sein Gastgeber an der Erwähnung der exotischen Erscheinung keinen Anstoß nahm.
Nazreh lachte. »Nein, wahrlich nicht. Sobona hat mich geboren, in der Stadt Tibur. Weit im Osten jenseits von By-zanz und Mekka. Auch für mich ist Britannien das Ende einer langen Reise.«
Es gefiel Sigurd nicht, widersprechen zu müssen. »Meine Reise endet nicht hier.«
Sie tranken noch ein wenig, und Nazreh schien nicht verärgert. »Ah, der Drang der Jugend. Immer unterwegs, immer ein hehres Ziel im Blick. Ging mir nicht anders.«
»Und du hast dein Ziel gefunden – hier in Britannien?«
»Nein«, antwortete der Orientale. »Ich habe etwas viel Wichtigeres gefunden – die Erkenntnis, dass der Weg das Ziel ist und die Herausforderungen immer den Preis übertreffen.«
»Das ist bei mir nicht der Fall«, hielt Sigurd dagegen. »Meine Aufgabe ist meine heilige Pflicht. So ist es von den Göttern gewollt.«
Wieder lachte Nazreh. »Die Götter. Gewiss. Beantworte mir dies, heißblütiger Siegfried – wenn deine Aufgabe so im Sinne der Götter ist, warum erledigen sie die Aufgabe dann nicht selbst? Ihre Macht sollte doch deiner um ein Vielfaches überlegen sein.«
Sigurd wurde unsicher. Er glaubte daran, dass die Götter ihn erwählt hatten, um Island wieder den Xantener Mördern zu entreißen und Wulfgar zu richten. Aber Nazreh sprach nicht dumm – warum hatten die Götter das Massaker an seiner Heimat überhaupt zugelassen?
»Vielleicht wollen sie mich prüfen«, sagte er nach einer Weile. »Alle großen Krieger brauchen Prüfungen, um sich zu beweisen.«
»Als ob die Welt ohne deine Götter nicht genügend Prüfungen bereithielte«, schnaufte Nazreh.
»Meine Götter?«, hakte Sigurd nach. »Zu welchem Gott betest du um Gnade und Kraft?«
Nazreh stand auf, ging zu seiner Büchertruhe und wühlte ein paar Werke daraus hervor. »Hier sind Schriften nahezu jeder Religion – von weit aus dem Osten bis zu den nordischen Legenden. Sonnengötter in Afrika, Tiergötter der Hindi, das Pantheon der Griechen. Vergangene Götter, neue Götter, gnädige Götter, grausame Götter. Ich habe sie alle studiert.«
»Und was ist deine Erkenntnis? Was ist der wahre Gott? Der Gott der Christen?«
Sigurd hatte durchaus mitbekommen, dass sich das Christentum schnell auf dem Kontinent ausbreitete mit seiner Botschaft von Liebe und Vergebung. Alte Soldaten hatten nur Spott für diesen weichen Gott übrig, der weder Fleischeslust noch gerechten Krieg belohnte. Aber Frauen und Gelehrte, Kinder und Alte schienen in den Schriften der Priester erstaunliche Seelenruhe zu finden.
Doch Nazreh schüttelte den Kopf. »Ein Gott wie der andere – dummes Gerede für kleine Geister.«
Es war die Antwort, die Sigurd am wenigsten erwartet hatte. Seine Mutter hatte ihn gelehrt, jedem fremden Glauben mit Respekt zu begegnen. Und die Schiffe hatten die Anhänger vieler Religionen nach Island gebracht.
Aber – kein Glaube? Wie konnte der Mensch ohne Herr sein, die Welt ohne Schöpfer? Das war absurd und vollends unsinnig.
Sigurd beschloss, mit Nazreh nicht mehr über dieses Thema zu sprechen.
»Das Volk wird sterben«, sagte Eolind, als Sten den Bericht unterschrieb, den der Bote nach Xanten bringen sollte. »Wenn Eure Vorgaben erfüllt sind, bleibt nichts mehr für den Winter – kein Holz, kein Essen, kein Fell.«
Der General, den Wulfgar als gleichberechtigten Statthalter zurückgelassen hatte, setzte die Feder nicht ab. »Dann wird das Volk eben sterben.«
Eolind atmete tief ein, schluckte wieder einmal die Wut und rollte das Pergament zusammen, um es mit dem höfischen Siegel zu schließen. »Ohne Volk gibt es keine Arbeit. Und ohne Arbeit kein Erz aus den Minen, kein Fleisch aus den Herden, kein Schwert aus den Schmieden. Kann das im Interesse Wulfgars sein?«
Sten nahm einen getrockneten Apfel aus einer Schale und biss kräftig ab, bevor er antwortete. »Der König verlangt den Lohn seines Sieges. Und ich sorge dafür, dass der Lohn gezahlt wird.«
Eolind ging langsam im Thronsaal der Felsenburg auf und ab. »Ihr sorgt Euch, dass der König wütet, wenn Eure Lieferungen zu knapp ausfallen – auf die Gefahr hin, dass sie ganz versiegen?«
Sten war nicht dumm, aber wie die meisten Krieger musste man ihm die Zusammenhänge in einfachen Worten vor Augen
Weitere Kostenlose Bücher