Die Rache Der Nibelungen
auf! Ich möchte doch meinen, dass es genug Bettler vor den Burgtoren gibt, denen es noch einen vollen Magen zur Nacht verspricht.«
Die Männer machten sich wenig begeistert an die Arbeit – für die Armen sich zu placken, das war allenfalls die Aufgabe von Mönchen und Missionaren. Sie scheuchten die Schweine weg, die sich schon eilends über die Bohnen und Karotten hermachen wollten.
»Ihr solltet vielleicht ebenfalls am Festmahl teilnehmen«, riet Hede nun. »Es ist angeraten, den Abenteuern des Königs ein aufmerksames Ohr zu schenken.«
Xandria wusste, dass ihre Hofdame recht hatte, aber ihr fehlte jeglicher Antrieb. »Die prahlerischen Heldengeschichten meines Vaters interessieren mich so wenig, wie ihn meine Verwaltung des Hofes schert. Ich ziehe mich zurück. Falls man mich braucht, findet man mich im Lesezimmer.«
Hede war wieder einmal froh, dass niemand in der Nähe war, um die spöttischen Worte der Prinzessin zu hören.
So unglaublich es gewesen war, dass Sigurd seine Verletzungen überlebt hatte, so unglaublich war auch die Tatsache, dass seine Heilung kaum Wochen brauchte und wenige Narben auf seiner Haut zurückließ. Nach einigen Tagen schon hatte er, auf Nazreh gestützt, die ersten kurzen Ausflüge aus der Hütte unternommen, und bald darauf war sein Arm stark genug, selber Holz nachzulegen, um der Kälte in der kleinen Behausung zu begegnen.
Sie sprachen nicht viel, der Prinz und sein Retter. Nicht in den ersten Tagen. Sigurd konzentrierte sich darauf, den Schmerz zu bezwingen und wieder Herr über den eigenen Körper zu werden. Nazreh saß in der Ecke auf einem Fell, das in ein stuhlähnliches Holzgestell gespannt war, und las. Er strahlte dabei eine Ruhe aus, die Sigurd nur von seiner Mutter kannte.
Irgendwann war Sigurds Urin wieder gelb, und die Suppe, die er aß, blieb bei ihm. Der Schorf auf seinen Wunden wurde hart und dunkel, und die schwarze Salbe aus Nazrehs Tiegeln zog keinen Eiter mehr aus dem verletzten Bein. Sigurd schlief nicht mehr zur Heilung, sondern nur noch des Nachts, wie jeder andere Mann es ebenso tat.
Ihr erstes wirkliches Gespräch fand an einem nebligen Morgen statt, als Nazreh dem Prinzen Brot und Milch hinhielt. »Feste Nahrung mag deinen Körper noch reizen, aber sie ist den Kampf wert. Macht die Beine stark und den Kopf klar.«
Sigurd nickte. »Beides kann ich brauchen.«
In der kurzen Pause, die folgte, während er abbiss, fiel ihm auf, dass er mit dem seltsam dunkelhäutigen Mann, der immer nur las, reden
wollte
. Es hungerte ihn nicht nur nach Brot, sondern auch nach einem freundlichen Wort. »Hast du mich vom Schiff geholt?«
Nazreh schüttelte den Kopf. »Am Strand fand ich deinen Körper, und eine Weile lang dachte ich, das Leben hätte ihn verlassen.«
»Ich würde dir gerne mit mehr als Worten danken«, sagte Sigurd, »doch leider ist nicht einmal das Hemd an meinem Leibe mein Besitz. Ich habe nichts.«
»Das stimmt nicht ganz«, widersprach der Araber. Aus einer kleinen Schatulle zog er ein Lederband hervor. Es war das Horn des Dryk. »Du trugst es, als ich dich das erste Mal sah. Irgendwie hatte ich das Gefühl, es wäre dir lieb und wert.«
Sigurd nahm den Anhänger, küsste ihn sacht und zog ihn sich über den Kopf. »Mehr als du ahnst. Doch gib mir Zeit, und ich will dich in Gold entlohnen für deine Freundlichkeit.«
»Ich betrachtete deine Rettung als muntere Aufgabe für einen trüben Herbst«, erwiderte Nazreh lächelnd. »Selten konnte ich so viele Rezepte und Tinkturen aus meinen Heilbüchern an einem einzigen Mann ausprobieren.«
»Du liest viel«, stellte Sigurd fest und deutete mit dem Kopf auf die Kiste in der Ecke. »Sehr viel.«
Das Lächeln des Orientalen wurde noch breiter, und zwei Lücken in einem sonst makellosen Gebiss wurden sichtbar, links und rechts der Schneidezähne. Der seltsame Anblick schien kein Ergebnis von Gewalt oder Krankheit, sondern eine gewollte Zurschaustellung uralter Tradition. »Ich bin Nazreh, und ich studiere die Welt. Wie ist dein Name?«
Sigurd wollte seinen Namen sagen, wie es ihm beigebracht worden war, wie er es tausend Mal getan hatte. Aber dann fiel ihm ein, dass er nun auf der Flucht war, und tot in den Augen seiner Feinde. So war es, und so sollte es auch sein. Er atmete tief ein. »Siegfried.«
Wie um ihn zu spotten, wiederholte der Orientale den Namen mit dem gleichen unsicheren Atemzug. »Siegfried.«
Sie sprachen eine Weile über die wundersame Rettung, über die lädierten
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