Die Rache Der Nibelungen
waren froh, dass mit dem Tode Gernots auch der Anspruch auf Burgund an sie gefallen war. Wie lange sie sich dort allerdings noch würden halten können, das war eine andere Frage. Rom war nicht nur in zwei Reiche zerfallen, es litt auch an sich selbst. Seine guten Tage mochten schon so lange vorbei sein, dass niemand mehr lebte, der sie gesehen hatte.
Xandria trat von hinten zu ihrem Vater an den Tisch. Sie hatte den Versuch, mit Wulfgar zu sprechen, so lange wie möglich aufgeschoben, aber ihr Pflichtgefühl siegte nun über den Widerwillen. »Ein Wort, Vater?«
Wulfgar gönnte ihr nur einen Seitenblick, winkte sie aber mit einem Knochen in der Hand neben sich. »Was willst du?«
Er wusste, dass sie etwas wollte – der König gab sich schon lange nicht mehr der Illusion hin, dass Xandria mit ihm sprach, weil es ihr gefiel.
Die Prinzessin räusperte sich. »Der Feldzug ist vorbei, und das Reich Xanten braucht wieder Führung. Deine Führung.«
»Und die hat es«, versicherte der König kauend, »ich bin ja schließlich wieder hier, oder?«
»Der Herbst war kalt und die Ernte karg«, fuhr Xandria fort. »Krankheiten haben sich durch die Dörfer gefressen. Der Winter wird ...«
»Der Winter wird kommen und gehen«, winkte Wulfgar ab, »das ist der Lauf der Dinge. Not tötet die Schwachen. Und was im Frühjahr übrig ist, geht umso stärker in den Sommer.«
»Kinder sind schwach, und Frauen sind es auch«, hielt die Prinzessin dagegen. »Doch ohne sie ist das Volk ohne Zukunft. Ein starker Krieger ersetzt weder Bäckerin noch Waschfrau.«
Die anderen Trunkenbolde an der Tafel wurden nach und nach still. Xandria forderte ihren Vater heraus, und das vor seinen engsten Vertrauten. Es war im besten Falle eine Anmaßung, im schlimmsten Falle Verrat.
»Das Volk soll arbeiten und schweigen«, knurrte Wulfgar gefährlich leise. »Und gewisse junge Frauen sollten es ihm gleichtun.«
»Aber es ist doch keine Wundertat, die man von uns erwartet«, sagte Xandria verzweifelt. »Ein wenig Nahrung von den Franken gegen gute Münze, um die Kammern zu füllen. Ein paar frische Ochsen für die Herden, und vielleicht weniger Eisen für Schwerter und mehr für Pflug-scha ...«
Das letzte Wort kam nicht mehr vollständig aus ihrem Mund, denn ansatzlos schlug Wulfgar ihr ins Gesicht, ohne das Fleischstück mit dem Knochen loszulassen. Ranzig riechendes Fett klebte an ihrer Wange, als sie auf den Boden stürzte, und in ihrem Mund schmeckte sie warmes Blut aus kleinen Wunden.
Der König stand nun über ihr wie ein steinerner Turm, und ebenso kalt und unerbittlich. »Wie kannst du es wagen, mich richten zu wollen – mir Vorschriften zu machen?«
Xandria rutschte ein, zwei Schritte nach hinten und wischte mit der Hand über ihre schmerzende Wange. »Das sollte es nicht sein! Ich wollte nur ...«
»Du
hast
nichts zu wollen! Du hast zu gehorchen! In Samt gekleidet hurst du mit dem Volk, das lieber heute als morgen deinen zerschmetterten Körper durch die Straßen schleifen möchte! Ein König regiert mit dem Schwert, nicht mit der Suppenkelle!«
Er schwankte ein wenig, weil die Wut die Wirkung des Alkohols in seinem Blut verstärkte. Aber es befriedigte ihn, dass das Pack an seinem Tisch angemessen beeindruckt dreinschaute.
Xandria rappelte sich auf. »Es tut mir leid, mein König – ich hatte Euch nicht kritisieren wollen. Verzeiht.«
Sie stand ganz still, den zitternden Körper devot gebeugt, die tränenden Augen zum Boden gerichtet.
Wulfgar trat auf sie zu, und sie konnte seinen sauren Atem riechen. »Du bist meine Tochter – und sollte ich je nicht mehr sein, wirst du einem neuen König Gattin sein, und dein Schoß wird unsere Blutlinie fortsetzen. Dann, wenn es dein Mann erlaubt, magst du entscheiden, was das Land braucht. Doch solange die Krone auf meinem Haupt ruht, wird das Volk seinen Herrscher fürchten und jeden seiner Wünsche erfüllen. Auch wenn es dafür darben muss. Und jetzt geh, bevor du mir den Appetit verdirbst.«
Xandria nickte stumm und verließ den Prunksaal, in dem seit Tagen das Feuer unter den Spießen nicht mehr ausgegangen war. Die Tür war noch nicht wieder hinter ihr geschlossen, da hörte sie bereits die Männer lachen.
Seit Tagen hatte die Prinzessin darüber nachgedacht, wie sie den König dazu bringen konnte, dem Leiden des Volkes ein Ohr zu schenken. Sie hatte Pläne gemacht, die Ernte gerechter zu verteilen, die üppigen Vorräte der Burg anzutasten, um zumindest dem Hungertod Einhalt zu
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