Die Rache Der Rose
sie über Bäumen flogen, die so dicht nebeneinanderstanden und deren Laub so üppig war, daß es zuerst so schien, als ob sie grüne Wolken durchflogen, bis der alte Wald von grasbewachsenen Hügeln und Feldern abgelöst wurde, durch die ein breiter Fluß verüef, und wieder schien die freundliche Landschaft vertraut, obwohl sich Elric diesmal nicht fürchtete.
Bald lag eine große Stadt vor ihnen ausgebreitet, die an beiden Flußufern errichtet war und die Luft mit Rauchdunst schwängerte. Aus Steinen, Ziegeln und Holz, aus Schiefer, Balken und Holzklötzen erbaut war sie, aus tausend vermischten Gerüchen und Geräuschen bestand sie, Statuen und Märkte und Denkmäler standen darin, über denen die Drachendame langsam kreiste; während unten in Panik und Neugier die Bürger herbeirannten, um nach oben zu schauen, oder davonrannten, um sich zu verbergen - doch dann schlug Narbenschnauze gemächlich mit den Flügeln und ließ sie wieder in stattlicher Majestät in den Himmel aufsteigen, als ob sie den Ort überprüft und ihn für unpassend befunden hätte.
Der Sommertag rann dahin. Mehr als einmal schien die große Drachin landen zu wollen - auf Brachland, Dorf, Sumpf, See oder Ulmenhain - doch jedesmal lehnte Narbenschnauze den Platz wieder ab und flog unzufrieden weiter.
Obwohl Elric sich vorsichtshalber mit seinem langen Seidenschal am Stachelkamm des Drachen festgebunden hatte, verlor er doch immer mehr an Kraft. Zudem hatte er auch keinen Grund mehr, den Tod willkommen zu heißen. Eine Wiedervereinigung mit seinem Vater bis in alle Ewigkeit war vermutlich die schlimmste aller möglichen Höllen. Erst als der Drache durch Regenwolken flog und Elric etwas Wasser in seinem Helm sammeln konnte, eine winzige Flocke des getrockneten Giftes hineinbröselte und das übelriechende Zeug mit einem Zug austrank, empfand er wieder ein wenig Hoffnung. Doch als die Flüssigkeit sämtliche Adern mit einem Feuer erfüllte, dessen Gestank ihn dazu brachte, das Gefäß, das es enthielt, zu verabscheuen, und an gereizten Arterien, Muskeln, Hautflächen zerrte, fragte er sich, ob er sich nicht einen besonders schmerzhaften Weg ausgesucht hatte, um seine ewige Verbindung mit Sadric sicherzustellen. Jeder Nerv stand in Flammen, und er ersehnte jede Todesart, jede Art der Erlösung von dieser Qual.
Doch während der Schmerz ihn erfüllte, wuchs die Kraft, bis es bald möglich wurde, sich auf diese Kraft zu stützen und die Schmerzen zu mißachten, bis sie vorüber waren und er spürte, wie ihn eine sauberere süßere Energie erfüllte, die irgendwie reiner war als jene, die er aus seinem Runenschwert bezog.
Während die Drachendame durch den abendlichen Himmel flog, spürte Elric, wie er wieder ganz wurde. Eine sonderbare Hochstimmung erfaßte ihn. Er sang die alten Drachenlieder hinaus, die vielschichtigen, samtenen, boshaften Lieder seines Volkes, das trotz seiner Grausamkeit jede erdenkliche Erfahrung ausgekostet hatte, und trotz der Schwäche seines Blutes kam diese Lebens- und Genußlust dem Albino ganz natürlich vor.
Tatsächlich erschien es ihm, als ob seinem Blut eine ausgleichende Eigenschaft innewohnte, eine Welt fast völlig ungehemmter Sinnlichkeit und Lebendigkeit, die so intensiv war, daß sie manchmal nicht nur ihn zu vernichten drohte, sondern auch jene um ihn. Es war einer der Gründe, weshalb er bereit war, seine Einsamkeit hinzunehmen.
Jetzt war es gleichgültig, wie weit die Drachendame flog. Ihr Gift nährte ihn. Die Symbiose war nahezu vollständig. Ohne Rast strebte Narbenschnauze weiter hinan, bis unter einer goldenen Spätnachmittagssonne, die das beinahe reife Weizenfeld unter ihnen wie poliertes Kupfer schimmern und leuchten ließ, eine erschrockene Gestalt mit spitzer Alabastermütze bei ihrem Anblick erfreut aufschrie, ein Starenschwarm plötzlich aufstieg, in eiligem Flug eine halbvertraute Hieroglyphe in den zartblauen Himmel zeichnete, ein plötzliches Schweigen hinter ihnen zurückließ und Narbenschnauze die weitgespannten Flügel ausstreckte und mit sehniger Eleganz auf ein Gebilde zuglitt, das auf den ersten Blick wie eine aus Basalt oder einem anderen Gestein geschlagene Straße aussah und dann zu einer meilenbreiten langverheilten Narbe durch die Weizenfelder wurde, zu glatt, zu unbelebt und zu groß, um eine Straße zu sein; der Zweck offenbarte sich jedoch nicht. Es durchschnitt das Getreide, als wäre es gerade heute dort errichtet worden; auf beiden Seiten erhoben sich große
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