Die Rache Der Rose
geleistet werden konnte. Also beobachtete ich sie einen weiteren Tag und eine weitere Nacht und folgte der Frau in Richtung des fernen Gebirges, wo die wilden Ostnomaden umherstreiften, und ich erwog, sie vor dieser Gefahr zu warnen, aber es wurde mir allmählich klar, daß nicht sie diejenige war, die sich in Gefahr befand. Ihre Bewegungen waren selbstsicher, und sie kümmerte sich um ihre Kinder in der Art derer, die schon lange ein wildes Leben hinter den Außenposten der Zivilisation geführt haben. Ich bewunderte sie. Sie war eine gutaussehende Frau, und die Art, in der sie sich bewegte, ließ mich meinen Vermählungsschwur vergessen. Vielleicht beobachtete ich sie auch aus diesem Grunde. In diesem Ausspähen, dieser geheimen Kenntnis ihrer Person spürte ich eine gewisse Macht. Jetzt weiß ich, daß ich in der Tat eine gewisse Macht besaß, die nur solche ihresgleichen besitzen, und jene waren die einzigen Geschöpfe, deren Gegenwart sie nicht auszumachen vermochte. Wäre ein anderer bei mir gewesen, hätte sie es sofort gewußt.
In der Vollmondnacht geschah es dann, daß ich sah, wie sie die gefaltete Wolfshaut an sich nahm und um ihre Schultern legte, sich dann auf alle viere fallen ließ, und einen verwirrenden Augenblick später stand dort eine riesige Wölfin, die den Kindern schwach zuknurrte, in der Nähe des Feuers zu bleiben, und in die Nacht starrte. Dennoch sah sie mich immer noch nicht, roch mich immer noch nicht. Für ihre übernatürlichen Sinne war ich unsichtbar. Sie machte sich in Richtung des Gebirges von dannen und war am Mittag des nächsten Tages wieder da; als Beute brachte sie einen Nomadenjungen mit, wahrscheinlich einen Hirten, und zwei Lämmer, die sie, indem sie die Leiche des Jungen als Schlitten benutzt hatte, hinter sich her zerrte. Die menschlichen Überbleibsel behielt sie für sich, aber sobald sie die Lämmer ins Lager brachte, nahm sie wieder ihre Frauengestalt an. Sie bereitete sie für die Kinder zu. Als sie später am Abend die wohlriechende Fleischsuppe aßen, die sie für sie zubereitet hatte, kehrte sie zu ihrer menschlichen Beute zurück und verschlang, fast sicher in ihrer Wolfsgestalt, einen guten Teil davon. Ich war zu achtsam, um ihr näher zu kommen.
Mittlerweile hatte ich natürlich erkannt, daß die Frau eine Werwölfin war. Eine besonders wilde Werwölfin, da sie zwei menschliche Jungen zu füttern hatte. Diese kleinen Geschöpfe waren unschuldige Kindlein und frei von irgendwelcher Verseuchung. Ich nahm an, daß sie aus Verzweiflung diese Lebensweise angenommen hatte, damit ihre Kinder nicht verhungern mußten. Dennoch bedeutete dies, daß andere Kinder verhungerten und weitere Menschen sterben mußten, bloß damit ihre Brut am Leben blieb, daher hatte mein Mitgefühl Grenzen. Sobald sie in dieser Nacht vollgefressen einschlummerte, nahm ich allen Mut zusammen, schlich mich in das Lager, riß die Wolfshaut vom Baum und rannte wieder in den Wald.
Sie erwachte beinahe sofort, aber weil ich jetzt das Fell besaß, mittels dessen sie sich in eine unbezwingliche Bestie verwandelt hatte, wußte ich, daß ich vor ihr sicher war. Aus den Schatten heraus richtete ich das Wort an sie: ›Meine Dame, ich habe das furchtbare Ding, das Ihr benutzt habt, um meine Freunde und ihre Familien zu töten. Wenn ich zurückkehre, wird es vor der Kirche von Kallundborg verbrannt werden! Ich werde keine Mutter vor ihren eigenen Kindern töten, daher seid Ihr, so Ihr Euch in ihrer Nähe aufhaltet, vor meiner Rache sicher. Ich entbiete Euch mein Lebewohl.‹
Darauf begann die arme Kreatur zu heulen und zu schreien - sehr unähnlich der selbstsicheren Mutter, die in der Wildnis ihre Jungen gehegt hatte. Aber ich wollte nicht auf sie hören. Ich wußte, daß sie bestraft werden mußte. Damals wußte ich natürlich nicht, wie grausam ihre Strafe sein würde. ›Begreift Ihr, wie ich überleben muß, wenn Ihr mir das Fell nehmt?‹ fragte sie. ›Jawohl, meine Dame, das ist mir klar‹, sagte ich. ›Doch müßt Ihr nun die Folgen tragen. Für einige Tage ist noch ausreichend Fleisch in Eurem Topf - und ein wenig weiteres Fleisch außerhalb Eures Lagers, und ich denke nicht, daß Ihr zu zimperlich sein werdet, Euch dessen zu bedienen. Also noch einmal mein Lebewohl, werte Dame. Dieses üble Ding wird schon bald auf einem christlichen Scheiterhaufen verbrennen.‹
›Ihr müßt Mitleid haben‹, sagte sie, ›denn Ihr seid von meiner Art. Wenige können sich wie ich verwandeln - wie Ihr
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