Die Rache Der Wanderhure
Sinne tätig werden.«
»Möglich wäre es …«, antwortete Isabelle nachdenklich.
Doch als sie in sich hineinhorchte, fand sie nichts, was für ein Bündnis mit Janus Suppertur gesprochen hätte.
6.
S eit jenem entsetzlichen Alptraum kämpfte Marie mit der Angst, es könnte Michel etwas Schreckliches zugestoßen sein. Jedes Mal, wenn sich ein Reiter auf der Straße zeigte, fühlte sie starkes Herzklopfen und atmete erst wieder auf, wenn derjenige an Hohenstein vorbeigeritten war. Die Anspannung ließ auch mit der Zeit nicht nach, sondern wuchs von Tag zu Tag und war bald kaum noch zu ertragen. Mehr als einmal ertappte sie sich bei dem Gedanken, ein Pferd satteln zu lassen, einfach loszureiten und nach Michel Ausschau zu halten. Sie kannte den Weg nach Böhmen aus Berichten von Händlern und wusste daher genau, wie gefahrvoll eine solche Reise war. Auch durfte sie Trudi nicht im Stich lassen. Daher hielt sie ihr Verlangen im Zaum und betete täglich bei der Himmelsmutter und ihrer speziellen Heiligen Maria Magdalena dafür, endlich Nachricht von Michel zu erhalten und zu erfahren, dass es ihm gutging.
An diesem Tag näherte sich ein Reitertrupp der Burg und hielt darauf zu, anstatt vorbeizuziehen. Ein Mann mit einer schwarzen Standarte in der Hand führte ihn an, und ein anderer hielt ein sattelloses Pferd am Zügel, das mit einer schwarzen Schabracke bedeckt war.
Als Marie die Reiter sah, gefror ihr das Blut in den Adern, und sie wartete reglos darauf, dass der Trupp in den Burghof einritt. Erst als ihr Anführer den Burghof erreichte, erkannte sie Falko von Hettenheim und erinnerte sich an dessen erstes Auftauchen auf Hohenstein. Bei diesem Gedanken gesellten sich Abscheu und Misstrauen zu ihrer Furcht vor dem, was die Reiter ihr gleich erklären würden.
Eigentlich hätte Hettenheim längst wieder bei seinen Kriegern im Feldlager sein müssen, doch er war dem Befehl des Inquisitors gefolgt, Michel Adlers Witwe die Nachricht von dessen Tod persönlich zu überbringen. Obwohl der Ritter glaubte, ein harter Mann zu sein, überfiel ihn beim Anblick von Maries blassem, starrem Gesicht eine nie gekannte Unsicherheit. Er stieg vom Pferd, schluckte, um seine Stimmbänder zu befeuchten, und sagte dann das Sprüchlein auf, das Ruppertus ihm wortwörtlich aufgetragen hatte.
»Ich grüße Euch, Kastellanin von Hohenstein, und soll Euch Folgendes ausrichten: Seine Majestät, König Sigismund, dankt für die Treue Eures Gemahls bis in den Tod. Hauptmann Michel Adler von Hohenstein fiel im Octobris 1427 heldenhaft im Kampf gegen die Hussiten. Gott schütze Euch!«
Es war wie ein Schlag mit einem blanken Schwert. Marie wurde schwindlig, und sie musste sich an der Mauer festhalten, um nicht zu stürzen. In ihren Augen brannten die Tränen, und doch fühlte sie nicht nur Trauer und Schmerz. Irgendetwas hatte Hettenheim an sich, das ihr Misstrauen hochschäumen ließ. Sein Gesicht war ihr zu ausdruckslos, und er hatte die Worte ohne Gefühl und vielleicht auch gegen seine innere Überzeugung heruntergeleiert. Dazu wich er ihrem Blick aus, als sie diesen fixieren wollte.
»Wie starb mein Mann?«, fragte sie mit erstaunlich fester Stimme.
»Er starb bei einem Überfall dieser elenden Hussiten, als er den Rückzug der Unsrigen deckte. Dabei ist er dem Angriff des Feindes zum Opfer gefallen.«
Erneut kamen Marie die Worte Hettenheims falsch vor. So sprach man nicht von einem Mann, der unter dem eigenen Kommando gedient und noch in seinen letzten Lebensminuten seinen Kameraden die Flucht ermöglicht hatte.
Unterdessen trat Falko von Hettenheim zu Michels Pferd und löste das in der Scheide steckende Schwert vom Sattel und reichte es Marie mit beiden Händen. »Hier ist die Waffe Eures Gemahls. Bewahrt sie als Andenken an einen tapferen Mann.«
Marie starrte reglos auf das Schwert, nahm es dann entgegen und reichte es Thomas, der schützend neben sie getreten war.
»Wo ist sein Leichnam?«, fragte sie den Ritter.
Erneut wich Hettenheim ihrem Blick aus. »Die Hussiten sind grausam! Ihr hättet bestimmt nicht sehen wollen, wie sie ihn zugerichtet haben. Haltet ihn so in Erinnerung, wie er von Euch schied, tapfer und bereit, mit seinem Leben für den König und seine Kameraden einzustehen!«
Marie war immer mehr davon überzeugt, dass Hettenheim log. Doch warum sollte er dies tun? »Wart Ihr dabei?«
Ihr Gegenüber zögerte einen Augenblick. »Nun, nein! Das war ich nicht.«
»Habt Ihr Michel Adlers Leichnam gesehen?«
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