Die Rache Der Wanderhure
Maries Blick schien den Ritter zu durchbohren.
Hettenheim war auf eine solche Frage nicht vorbereitet und druckste zunächst herum, fasste sich dann aber und schüttelte den Kopf. »Nein! Euer Mann war mit mehreren Rittern und Soldaten auf einem Erkundungsritt, von dem ist er nicht zurückgekehrt.«
Marie gingen tausend Fragen durch den Kopf, doch als sie Hettenheims unsteten Blick bemerkte und feststellte, dass auch zwei seiner Ritter betont in andere Richtungen schauten, begriff sie, dass sie von diesen Männern niemals die Wahrheit erfahren würde. Waren Michels Kameraden bei dem Angriff der Hussiten feige geflohen und hatten ihn im Stich gelassen?, fragte sie sich, schob diese Überlegung jedoch schnell beiseite. Obwohl sie die unliebsamen Besucher am liebsten von ihren Knechten hätte vertreiben lassen, lud sie, wie Sitte und Brauch es verlangten, den Grafen und seine Begleiter ein, auf Hohenstein zu übernachten.
Während einige Kriegsknechte so aussahen, als wären sie dankbar für eine Rast und eine gute Mahlzeit, schüttelte Hettenheim den Kopf.
»Verzeiht, aber es ist noch früh am Nachmittag, und es liegt ein langer Ritt vor uns. Der König erwartet mich und die Meinen in Böhmen. Damit Gott befohlen!« Froh, dieser schier zu Eis erstarrten Frau entkommen zu können, schwang Hettenheim sich in den Sattel, gab seinen Männern das Zeichen, sich ihm anzuschließen, und ritt zum Tor hinaus.
Marie sah ihnen noch lange nach. Erst als ein Hügel die Reiter ihrem Blick entzog, kehrte wieder Leben in sie zurück, und sie schüttelte sich wie im Fieber.
Hiltrud hatte die Nachricht ebenfalls vernommen und trat nun auf die Freundin zu. »Es tut mir so leid!«, flüsterte sie unter Tränen und fasste nach Maries Hand.
»Michel ist nicht tot!«, entfuhr es Marie. »Etwas ist mit ihm geschehen, doch er ist nicht tot! Ich würde es fühlen.«
»Bitte, Marie! Du darfst dich nicht aufregen«, bat Hiltrud und warf ihrem Mann einen hilfesuchenden Blick zu.
Thomas hielt immer noch Michels Schwert in der Hand und starrte fassungslos auf die Waffe. Wie gerne hätte er Marie Trost gespendet, doch dafür war seine eigene Trauer zu groß.
»Hettenheim hat gelogen! Michel ist nicht tot«, wiederholte Marie und wies auf das Schwert. »Habt ihr auf das geachtet, was er gesagt hat?«
Hiltrud und ihr Mann blickten sie verwirrt an. »Wie meinst du das?«, fragte sie.
»Er sagte, Michel wäre gefallen, als er den Rückzug seiner Kameraden decken wollte. Nun frage ich mich, wie Hettenheim mir dann sein Schwert und sein Pferd überbringen konnte? Oder glaubt ihr, die Hussiten hätten beides zurückgelassen?«
»Eigenartig ist das schon«, stimmte Hiltrud ihr zu. »Aber vielleicht …« Sie brach ab, weil ihr nichts einfiel, das gegen die Annahme ihrer Freundin sprach.
Mit einer heftigen Bewegung wandte Marie sich an Thomas. »Verwahre das Schwert in der Burgkapelle! Michel wird es brauchen, wenn er zurückkommt.«
War sie nach dem Traum voller Angst und Sorge um ihren Mann gewesen, so hatte die Nachricht von seinem angeblichen Tod neue Hoffnung in ihr geweckt. All das, was Hettenheim ihr berichtet hatte, passte nicht zusammen, und ihr Herz sagte ihr, dass Michel am Leben war. Er mochte verwundet worden oder vielleicht sogar in Gefangenschaft geraten sein. Doch tot war er nicht!
7.
E inen Tag nach Hettenheims Auftritt erschien ein Kurier des Königs auf Hohenstein und überbrachte eine Botschaft. Anders als Hettenheim war der Mann froh, dafür einen Krug Wein und eine gute Mahlzeit zu erhalten. Marie las unterdessen das königliche Schreiben, in dem sie aufgefordert wurde, unverzüglich bei Hofe in Nürnberg zu erscheinen, und fragte sich, was sie dort erwartete. Ihre anfängliche Hoffnung, Michel könnte mittlerweile wieder aufgetaucht sein, war beim Lesen all der Beileidsbekundungen, die sich Sigismunds Schreiber hatte einfallen lassen, rasch verflogen.
Schließlich legte sie den Brief beiseite und wandte sich an Thomas. »Du wirst mich begleiten. Morgen früh brechen wir auf!«
»Was mag der König von dir wollen?«, fragte Hiltrud besorgt.
Marie antwortete mit einer bitteren Geste. »Das muss er mir erst noch sagen. In dem Brief stehen nur ein paar nichtssagende Floskeln.«
Mit einem Achselzucken hob sie ihre Tochter auf und setzte sie sich auf den Schoß. Ihre Gedanken aber drehten sich nur um Michel. Sie würde auch schon deshalb des Königs Aufforderung Folge leisten, weil Nürnberg näher an jenen Gebieten lag,
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