Die Rache Der Wanderhure
Marktflecken Sokolny wirkte trotz des Krieges und der dadurch unterbrochenen Handelswege recht wohlhabend. Die Bauernhöfe waren groß und hatten überhängende Dächer, unter denen Feuerholz aufgeschichtet war. Zwar gab es auch etliche Katen und Hütten, die wohl von Handwerkern und Tagelöhnern bewohnt wurden, aber die sahen ebenfalls nicht so aus, als würden die Bewohner am Hungertuch nagen.
Michel fand, dass man hier gut leben konnte. Die Sprache der Leute würde er lernen, und zu Sigismunds Truppen zog ihn nichts. Immerhin hatten deutsche Ritter versucht, ihn zu töten. Für einen Augenblick dachte er daran, dass er für diese Tatsache nur Marats Wort hatte. Doch als er den Mann von der Seite anblickte, war er sicher, dass dieser ihn nicht belogen hatte. Was ihn jedoch am meisten interessierte, war die Frage, weshalb man ihn hatte umbringen wollen. Zu seinem Bedauern konnte er nicht einfach in das Kriegslager des Königs reiten und danach fragen. Solange er nicht wusste, wer seine Feinde waren, würden diese alles daransetzen, ihn zu ermorden, bevor er es erfuhr.
»Da sind wir!«
Marats Worte beendeten Michels Sinnieren, und er folgte seinem Begleiter in die Schenke. Da durch die Fenster genug Licht hineinfiel, konnte er sehen, dass sie geräumig und sauber war. An dem großen Tisch in der Mitte saß eine junge, recht hübsche Dame, der zwei weitere Frauen sowie mehrere Herren von Stand Gesellschaft leisteten.
Während Michel die Gruppe interessiert musterte, wählte Marat einen kleinen Tisch in der Ecke und setzte sich so, dass er den gesamten Raum im Auge behalten konnte.
Michel nahm neben ihm Platz, ohne den Blick von der Dame und ihrem Gefolge zu wenden. Bevor er jedoch Marat fragen konnte, um wen es sich bei den Leuten handelte, erschien die Schankmaid, strahlte sie fröhlich an und gab sich keine Mühe, ihre Neugier zu verbergen.
»Ist das der Mann, den du gefunden hast, Marat?«
»Vor allem ist er ein durstiger Mann, und ich bin es auch. Bringe uns zwei Krüge Bier!« Marat klatschte dem drallen Mädchen die Hand auf den Hintern und lehnte sich scheinbar entspannt zurück. Seinem Blick entging jedoch nichts, weder die Komtesse Janka Sokolna mit ihren Begleitern noch die drei Hübschlerinnen, die in der anderen Ecke der Schenke saßen und darauf warteten, dass einer der Söldner, die Graf Sokolny zur Verteidigung seines Besitzes angeworben hatte, hereinkam und ihre Dienste in Anspruch nahm.
Da die Weiber aus anderen Gegenden Böhmens stammten, hatte Marat sie im Verdacht, für die Hussiten zu spionieren. Ihm war klar, dass Fürst Vyszo die strategisch wichtige Grafschaft Sokolny erobern musste, wenn er tiefer ins Reich der Deutschen vorstoßen wollte. Gerüchten zufolge, die Sokolny trotz des Krieges immer wieder erreichten, war Sigismunds Herrschaft nicht unumstritten. Da der Papst sich weigerte, ihn zum Kaiser zu krönen, fand er kaum Unterstützung bei seinen Fürsten und Herzögen. Marat hoffte, dass dies noch eine Weile so blieb. Einem römischen Kaiser war Graf Sokolny zur Gefolgschaftstreue verpflichtet, dem König der Deutschen jedoch nicht.
Inzwischen hatte die Schankmaid die Krüge gefüllt und brachte sie zum Tisch. Ihr Blick ruhte dabei auf Michel, der nach seiner Verletzung hagerer wirkte als früher, aber mit dem Bart, der ihm in der Zwischenzeit gewachsen war, verwegen aussah. Da sie wusste, dass er ein Deutscher sein sollte und damit ein Anhänger Sigismunds, hatte sie jedoch zu viel Angst vor ihm, um ihm schöne Augen zu machen.
Michel merkte es ihr an und zauberte ein charmantes Lächeln auf seine Lippen. »Du musst dich nicht fürchten. Ich tue dir nichts!«
Mit einem verlegenen Gesichtsausdruck wandte das Mädchen sich ab und eilte zum Schanktisch zurück, weil einer der Ritter am Mitteltisch lautstark nach frischem Bier rief.
»Du gefällst ihr«, sagte Marat ansatzlos.
»Was?«, fragte Michel verwirrt.
»Es heißt wem. Ich meine die Schankmaid. Wenn du sie ein wenig umwirbst, wird sie heute Nacht die Kammertür für dich offen lassen.«
»Wieso sollte sie das tun?«
Marat schüttelte seufzend den Kopf. »Hast du vielleicht auch das vergessen? Mach dir da mal keine Sorgen! Wenn du mit ihr allein bist, wird sie dir schon sagen, was du zu tun hast.«
Michel amüsierte sich über Marats Eifer und wollte ihn ein wenig zum Narren halten. »Soll ich mit ihr plaudern, zur Laute singen oder für sie Patiencen legen?«
»Anscheinend kommt dein Gedächtnis wieder, weil du dich
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