Die Rache des Kaisers
ihm, was mich beschäftigte; ich konnte ihm, wenn auch von weitem, sogar den Gegenstand meines Grübelns zeigen.
»Abwarten«, sagte Jorgo. »Der Marsch endet sicher irgendwann in einem Getümmel; vielleicht findet sich dann eine Gelegenheit. Aber sieh dich vor; er wirkt nicht so, als ob er sich mit einer Pfauenfeder erschlagen ließe.«
Niemand schien zu wissen, wohin wir eigentlich zogen. Heilbronn wurde als Ziel genannt, doch marschierten wir später daran vorbei.
Bei Neckarsulm genossen wir eine besondere Art Erholung. Auf dem Marsch dorthin hatten Reiter mehrmals unsere Nachhut überfallen und etliche Männer niedergemacht. Ich sah nichts davon, da ich in der Mitte des Zuges ging, hörte jedoch hinter uns, weit weg, immer wieder Schüsse, Schreie und das Klirren von Waffen. Das Lager auf den Wiesen vor der Stadt wurde entsprechend angelegt, mit umgekippten Karren als Wehr und vielen Wachen mit Arkebusen und Hellebarden.
Neckarsulm gehörte den Deutschherren, die gründlich verhaßt waren; die Bürger der Stadt schlossen sich uns an, zeigten den Anführern, wo die Ordensritter ihre Schätze aufbewahrten, und halfen beim Plündern. Wir wurden sozusagen
gut bewirtet, in der Stadt wie draußen auf den Wiesen.
Irgendwann am Nachmittag ging ich zu einem der Bratfeuer, um zu sehen, ob ich ein Stück Fleisch und, nach all dem warmen Dünnbier der vergangenen Monate, vielleicht auch einen Becher Wein bekommen konnte.
Karl stand neben einigen anderen Unterführern, an einen Lastkarren gelehnt; in der einen Hand hielt er ein Hühnerbein, in der anderen einen Humpen, und von seinen Lippen troff eine Mischung aus Fett und Heiterkeit. Er sah mich, winkte mich zu sich und deutete auf zwei Männer, die an einem Tisch - zwei Böcke und eine schwere Platte - Fleisch zerteilten und mit Krügen hantierten.
»Greif zu«, sagte er. »Und - hast du was bemerkt?«
»Was denn?«
Er grinste breit. »Wachen, zum Beispiel? Aufpasser?«
Ich schaute mich um. Zum ersten Mal sah ich keinen der Leute aus dem Lager in meiner Nähe. »Ich bemerke, daß ich nichts bemerke«, sagte ich. »Deine Anweisung?«
»Iß, Junge.« Er zwinkerte. »Wir sind nicht mehr verborgen, jeder weiß, wer wir sind und wer uns führt. Was könntest du noch verraten? Aber hast du wirklich nichts bemerkt?«
Ich zögerte; dann, langsam, sagte ich: »Ich habe einen meiner … besonderen Freunde bemerkt.«
Karls Gesicht verlor alle Umgänglichkeit. Er löste sich vom Karren und ging ein paar Schritte zur Seite, weg von den anderen. Ich folgte ihm.
»Wer ist es?«
»Einer von Geyers Schwarzem Haufen.«
»Mach keinen Unsinn.« Er sprach durch die Zähne. »Du kannst nichts unternehmen.«
»Wirst du mich daran hindern?«
Er seufzte. »Ich werde dir jedenfalls nicht helfen. Und du allein gegen ihn? Unmöglich. Außerdem haben wir hier anderes zu tun, als uns gegenseitig umzubringen.«
»Ich kann warten.«
Er nickte, riß mit den Zähnen das letzte Stückchen Fleisch vom Hühnerknochen und warf ihn hinter sich. »Da«, sagte er, »so wie dem Bein wird es dir gehen. Such dir schon mal einen schattigen Platz für die lange Nacht aus.«
ZEHN
E he wir an Heilbronn vorüberzogen, wurden wir auf ebenem Feld in der Nähe von Erlenbach gesegnet. Diesmal war es keiner der Prediger, die uns zuweilen segneten, obgleich es ihnen nach eigenem Verständnis nicht zustand; diesmal war es eine Frau, die überall nur das »Schwarze Weib« genannt wurde.
Angeblich konnte sie zaubern, hellsehen, Teufel und andere Feinde bannen. Barfuß lief sie übers Feld, zwischen den Rotten und Fähnlein, in einem wehenden hellen Kleid und mit wehenden schwarzen Haaren. »Spieß, Hellebarde, Schwert und Kugel können euch nichts anhaben«, schrie sie. »Tötet die Adligen, laßt von den Burgen keinen Stein auf dem anderen. Gott will es!«
Sie kam, sagte man, aus Böckingen, wie Jakob Rohrbach, dessen Geliebte - fast hätte ich »Muse« geschrieben - sie war. Und es hieß, daß sie ihn antrieb, wenn er schwanken wollte.
Aber wann hätte Rohrbach je geschwankt? In Böckingen, nicht weit von Heilbronn, hatte er eine Weinwirtschaft und einen vielleicht nicht guten, aber doch lauten Ruf als gescheit, stur und gewalttätig. Ein Jahr zuvor hatte man ihn des Mordes am Schultheiß von Böckingen verdächtigt; in der Untersuchung konnte man es ihm nicht zweifelsfrei nachweisen. Aber das bloße Gerücht genügte; für die zum Aufstand bereiten Bauern war Rohrbach damit Held und Anführer.
Sein
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