Die Rache des Kaisers
nächsten Monate lieber an Land zu verbringen. Zur Papiermühle in Mestre gehörte ein Haus, in dem sich, sagte sie, die kalte Zeit besser und behaglicher verbringen ließ als in den kargen Zimmerchen über der Druckerei. Ich fand die bereits erwähnte Unterkunft für Avram und mich ganz in der Nähe, und am letzten Novembertag verließen wir vorläufig die Lagunenstadt. Da ich nichts Besseres zu tun hatte, als Laura mit meiner Nähe und Neigung zu behelligen, kümmerte ich mich ein wenig um ihren Garten und machte kleinere Ausflüge in der Umgebung. Ansonsten arbeitete ich, so gut es ging, als überzähliger Helfer mit in der Papiermühle.
Avram war geschickter und daher weniger überzählig als ich. Zwischendurch verschwand er tagelang, trieb sich im Hinterland herum und sammelte Lumpen, Rohstoff für die Mühle. Er sammelte auch Geschichten und Neuigkeiten. Und Nachrichten.
An einem Frühsommerabend kehrte er von einem seiner Ausflüge zurück, den Handkarren hochbeladen mit Fetzen, die Stiefel voller Staub und das Gesicht bedeckt von einer Maske: der Miene beiläufiger Dringlichkeit, wie ich sie bei mir nannte. Die meisten Arbeiter waren bereits heimgegangen. Laura, der Meister Giovanni und ich prüften eben die ersten gepreßten und getrockneten Bögen für einen neuen, teuren Auftrag.
»Du wirst mich reich machen«, sagte Laura. Sie hielt einen Bogen hoch und betrachtete vor dem großen Westfenster das Wasserzeichen. »Du auch«, setzte sie hinzu, als Avram die Werkstatt betrat.
»Ich auch was?« sagte er.
»Du wirst mich reich machen.«
Giovanni keckerte. »Solange wir alle etwas davon haben, gönnen wir dir jeden Reichtum, Herrin.«
»Laß mal sehen.« Avram trat hinter Laura und musterte den Bogen. Er schnalzte leise. »Nicht schlecht geworden - für die ungelenken Händchen.« Er hob die Hände und spreizte die Finger; dabei grinste er.
Ich sah unter oder neben seinem Grinsen die Mienenmaske und ahnte, daß er anderes im Kopf hatte als das neue Papier. Aber es war gut gelungen, und wir beide hatten dazu beigetragen. Am wenigsten ich - von mir stammten lediglich das Blut des ersten, zufälligen Entwurfs und der grundlegende Einfall: den reichen und edlen Herren Venedigs jeweils eigenes Papier anzubieten. Laura hatte alles berechnet und die Angebote unterbreitet; Meister Giovanni hatte nach dem Familienwappen des ersten edlen Kunden die Vorlage für das Wasserzeichen entworfen, und Avram hatte das feine Drahtgeflecht gefertigt. Das Papier sollte am nächsten Tag nach Venedig gebracht und dort, in Lauras Drukkerei, mit den Namen des Herrn und des Hauses versehen werden.
»Gut für wichtige Sendschreiben«, sagte Avram, »und davon wird es in der nächsten Zeit sehr viele geben.«
Laura befestigte den Bogen wieder an der Trockenleine. »Ich höre, du hast gute Nachrichten aufgeschnappt«, sagte sie. »Warte damit, bis wir uns gestärkt haben; vorher ertrage ich sie wahrscheinlich nicht.«
Ich half Avram, den Karren in den Innenhof zu schieben. Wir schlossen die Werkstatt für die Nacht ab und luden Meister Giovanni und Laura ein, uns zu dem kleinen gemieteten Haus zu begleiten. In Erwartung des zu feiernden neuen Papiers hatte ich für den Zeitpunkt des Sonnenuntergangs in einer der Garküchen von Mestre Salate, mehrere Fleischtunken
und Nudeln gekauft. Als alles geliefert wurde, war Avram noch dabei, sich vom Reisestaub zu reinigen.
Beim Essen erzählte er zunächst von den Dörfern, die er in den vergangenen zehn Tagen heimgesucht hatte, und erging sich in hymnischen Erinnerungen an eine üppige Witwe, Herrin eines einsamen Hofs.
»Es ist dir also nicht schlecht ergangen«, sagte Laura schließlich. »Magst du jetzt zur Sache kommen?«
Avram hob seinen Becher. »Ich trinke auf deine Augen und daß sie meinem Freund Jakko in vielen Nächten leuchten mögen. Es kann aber sein, daß er sie bald vermissen muß.«
Ich beugte mich vor. »Nun sag’s endlich!«
»Es geht wieder los.«
»Was geht wieder los?«
»Es werden Söldner geworben. Vor ein paar Wochen hat es irgendwo zwischen Mailand und Turin die ersten Gefechte gegeben.«
»Wer gegen wen?« sagte ich.
Giovanni schloß die Augen und stöhnte. »Jeder gegen jeden, wahrscheinlich - aber wieso haben wir noch nichts gehört?«
»Die Herren der Serenissima mögen vielleicht noch nicht laut darüber reden«, sagte Laura; sie streifte mich mit einem Blick. »Leise wurde durchaus geredet in der Stadt.«
»Warum hast du nichts gesagt?«
Nun
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