Die Rache des Kaisers
wärst ein Mann.«
»Immer, wenn du mich dazu machst. Dazwischen bin ich ein kleiner Junge, der gern mit hübschen Dingen spielt und nicht wieder vom Waldrand aus zusehen mag, wie seine Leute abgeschlachtet werden.«
Sie seufzte. »Der Waldrand wird, fürchte ich, immer am Rand deines Blickfelds sein. Sobald du dich umdrehst, um ihn genauer zu sehen, wird er sich verschieben, so daß du ihn nur aus den Augenwinkeln siehst. Deshalb wirst du dich immer nach ihm umdrehen.«
»Deshalb drehe ich mich lieber nicht um, sondern …« Ich beugte mich vor und berührte ihre Brust mit der Zungenspitze.
»Ach, Jakko.«
Wir schwiegen eine Weile, schauten einander nur an. Als ich ihren sengenden Blick nicht mehr ertragen konnte, sagte ich leise: »Ich liebe dich. Du weißt es. Magst du mich heiraten?«
Sie lächelte und rieb eine Handfläche an meiner Wange. »Nein.«
»Ich meine es ernst.«
»Ich weiß. Ich auch.«
Ich fühlte mich klamm und matt. Ausgehöhlt mit einem scharfen Werkzeug; von einer Hand, die eben noch gestreichelt hatte. »Warum?«
Sie setzte sich auf. »Ich mag nicht teilen.«
»Wie meinst du das?«
Sie beugte sich über mich; ihr Haar schloß unsere Gesichter ein und die Welt aus. Für ein paar Atemzüge.
»Ich weiß nicht, ob du der bist, den ich zu kennen geglaubt habe. Du fühlst dich an wie er, du riechst wie er, du schmeckst wie er, aber - kenne ich dich? Der, den ich kenne, hat keine Mörder gesucht.«
»Aber er ist derselbe.«
»Ich mag dich nicht teilen, Liebster. Mit einem Waldrand und vier, ah nein, drei Mördern. Der Wald wird vielleicht welken, wenn die Mörder verdorrt sind. Bis dahin werden sie immer hinter dir und neben mir stehen und zwischen uns liegen.«
»Was soll ich tun?«
»Du sollst sie finden. Und töten.« Ihre Stimme klang nicht hart, als sie das sagte, eher erregt. Sie küßte mich.
Viel später sagte ich: »Und dann? Wenn ich sie getötet habe?«
»Wenn du überlebst?«
»Nur dann.« Ich versuchte zu lachen, aber es gelang nicht recht.
»Wenn du nach mir schauen magst, tu es. Vielleicht gibt es dann einen anderen. Vielleicht nicht.«
SECHZEHN
A m nächsten Morgen brachen Avram und ich auf, der päpstlichen Gesandtschaft entgegen, die inzwischen wahrscheinlich Padua verlassen hatte und sich Venedig nähern mußte. Wir gingen zu Fuß; die Pferde hatten wir verkauft, als wir uns mehr oder minder seßhaft machten, und auch an Waffen nahmen wir nur das mit, was zur gewöhnlichen Ausrüstung des Wanderers gehört, der essen und Feuer machen will.
Zunächst sprachen wir nicht viel. Ich weiß nicht, woran Avram dachte; vielleicht döste er einfach im Gehen. Ich dachte an Piranesi: das schmale Gesicht mit buschigen weißen Brauen und weißem Schnurrbart, die weißen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haare, die Ähnlichkeit mit einem Wiesel. Und die gräßlichen Geschichten über ihn und das Gemetzel von Prato.
Dann irrten meine Gedanken ab, oder sie strebten einem besseren, schöneren, schmerzlicheren Ziel zu: Laura. Ich fühlte mich immer noch, als habe jemand - sie - mir eine Flaschenbürste durchs Gemüt gezogen. Aber nach und nach klärten sich die Gedanken; Bewegung ist gut für derlei, jedenfalls für mich. Andere mögen weinen, beten oder sich geißeln; jeder nach den Maßgaben seines Vergnügens.
Nach und nach, mählich, allmählich, gemach … Ich begriff, daß ich Fehler begangen hatte. Nicht mir gegenüber; sich selbst gegenüber macht man keine Fehler, versündigt
sich nicht; alles, was man sich selbst zufügt, ist Dummheit. Fehler begeht man anderen gegenüber. Es war dumm von mir gewesen, die selbstgestellte Aufgabe, die Rache, zu vergessen, vergessen zu wollen. Und es war gedankenlos und verletzend gegenüber Laura, ihr etwas zu verheißen, was ich nicht würde erfüllen können.
Verheißen? Vielleicht wäre »behelligen« oder »belästigen« das treffendere Wort. Ich hatte eine gute, kluge Frau dazu gebracht, mich so zu schätzen, wie dies einer verdienen mag, der alles mit ihr teilt, mit ihr Kinder zeugt, Verantwortung trägt, an ihrer Seite alt wird. Dabei hatte ich verschwiegen, ja schlimmer: vergessen wollen, daß ich ein Blatt war, das auf den nächsten Windstoß wartet, der es ans Ende der Welt trägt. Inzwischen hätte sie den anderen Mann, den Vater ihrer Kinder finden können; statt dessen hatte sie sich zu einem gelegt, der sich nun selbst stumm bejammerte, weil er sich zwischen einer Liebe und einer Rache entscheiden mußte. Zwischen der
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