Die Rache des Kaisers
entdeckte er einen alten römischen Söldner, der bei Prato mit ihm in jenem venezianischen Fähnlein gekämpft und beim Angriff der Söldner auf Rom die Abzeichen der päpstlichen Truppen schnell abgelegt hatte. Er habe nicht geplündert, sagte er, durch den Wechsel des Hemdes jedoch überlebt. Er verwies uns an einen spanischen Hauptmann namens Vicente Guajardo, der in der Nähe der Piazza Navona sein Quartier hatte und versuchte, von dort aus den Zugang zur Engelsburg zu sichern und seine Truppe nach den Ausuferungen wieder in die Hand zu bekommen.
Guajardo war ein älterer Mann mit mächtigen Muskeln und allerlei Narben im Gesicht. Er sprach fließend Italienisch, lauschte dem, was ich zu berichten hatte, dann seufzte er und sagte: »Nicht schlimmer als manches andere, was ich gehört und gesehen habe. Aber es wäre gut, irgendwo mit dem Aufräumen zu beginnen. Und - die Hälfte der Beute, sagt Ihr? Wenn’s wenig ist, haben wir ein paar Schandbuben beseitigt; wenn’s viel ist, lohnt es sich sogar.« Er blickte nach dem Stand der Sonne. »Nicht ganz vier Stunden Tageslicht, schätze ich. Nun denn.«
Er rief seinen Stellvertreter herbei, einen Fähnrich. Lorenzo de Hoyos mochte dreißig Jahre alt sein und hatte ebenfalls Narben aufzuweisen. Anders als sein Capitán war dieser Alférez jedoch schlank und bewegte sich mit einer gewissen Anmut: der einer gefährlichen Raubkatze.
Etwa zwei Stunden vor Sonnenuntergang erreichten Karl, Jorgo, ich und Hoyos mit fünfzehn Mann ungesehen den Hang oberhalb der Villa. Niemand ließ sich unten blicken, und die Torflügel standen offen.
»Warten«, sagte ich. »Vielleicht müssen wir morgen wiederkommen. Oder werden Eure Männer dann meutern?«
Hoyos schnalzte leise. »Habt Ihr diesen Eindruck von ihnen?«
Ich hob die Schultern. »Mein Eindruck ist, daß es sich um erfahrene Kämpfer handelt, und im Gefecht hätte ich sie lieber auf meiner als auf der Gegenseite. Aber ich weiß nicht, wie sie die letzten Tage verbracht … und überstanden haben.«
»Sie haben zwei Tage an der Orgie teilgenommen.«
»Und dann? Freiwillig zurückgekommen?«
Er nickte, und ich versuchte, mir die ausgehungerten Kämpfer vorzustellen, die nach mörderischen Märschen endlich Rom erreicht und erstürmt hatten und sich an wem auch immer für alle erlittene Mühsal rächten. An Unschuldigen, an Schuldigen. Sie hatten geplündert, wahrscheinlich geschändet, vermutlich gemordet - wer waren sie? Was hatte sie dazu gebracht, nach zwei Tagen der Zügellosigkeit eines gräßlichen Paradieses in die Ketten der Zucht heimzukehren? Überdruß? Ekel? Gewissen? Gewohnheit?
Eine Bewegung riß mich aus den sinnlosen Fragen. Sinnlos, weil mir keine der möglichen Antworten glaubhaft erschien. Einer der Männer, die weiter hinten lagen, kam zu uns gekrochen und sagte leise: »Da ist einer, der zu Euch will.«
Ich war beinahe dankbar für die Unterbrechung meiner inneren Irrwege. »Er soll kommen.«
Gleich darauf ließ sich Avram zwischen mich und Hoyos
fallen. »Sie kommen«, sagte er. »Mit zwölf oder dreizehn, uh, Gästen.«
Der Fähnrich nickte. »Und du sagst, sie schließen das Tor, wenn’s losgeht?«
»Jedenfalls haben sie das gestern getan.«
»Es bietet sich an.« Er wandte sich um und gab ein paar Befehle. Einige seiner Leute verschwanden rechts und links, geduckt oder kriechend.
Warten. Atmen. Das Herz klopfen hören. Nicht an das Gemetzel denken, das gleich beginnen wird, sondern an das andere, in jenem fernen Land, in einer anderen Zeit.
Grölen und Gelächter waren von der Uferstraße zu hören, Fetzen eines mißtönenden Gesangs. Dann sahen wir die ersten, die näher kamen. Einige gingen, einige torkelten oder wurden von anderen gestützt. Als die ersten durchs Tor traten, hörte ich Hoyos scharf einatmen.
»Zwei von unseren«, knurrte er.
»Siehst du den Langen? Vorn links, mit dem Wieselgesicht?«
Hoyos nickte. »Du hast ihn uns allen ausführlich beschrieben. Wir heben ihn für dich auf.« Es klang beinahe gönnerhaft. »Wenn ich auch nicht weiß, was du mit dem Bogen anfangen willst.«
»Eine alte Waffe für eine alte Rache«, sagte ich. Ich hatte den Bogen, der wahrscheinlich einmal einem maurischen Reiter gehört hatte, mit einem halbgefüllten Köcher in einem der Häuser gefunden, in denen wir Nahrung gesucht hatten, und in den vergangenen Tagen ein wenig geübt. Nicht so schwer, fand ich, auf kurze Entfernung ein Ziel zu treffen, das sich nicht bewegte. Das nicht mit
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