Die Rache des Marquis
Liebes.« Mühsam löste er ihre Finger von seinen Revers.
»Warum willst du dann …«
»Weil ich sie vorher töten werde.« Sofort erkannte er, welch ein Fehler es gewesen war, ihr das zu verraten. Denn nun schlang sie erstaunlich kräftige Arme um seine Taille. Während er sich befreite, hörte er zwei weitere Schüsse. Caine nahm an, daß seine Leute den Kampf begonnen hatten. Und Jade hoffte, ihre Leute würden eingreifen und die Schurken verscheuchen.
»Schließen Sie die Tür hinter mir, Kelley!« schrie Caine, während er in den Sattel stieg und den Hengst herumschwenkte. Kurz nachdem er aus dem Stall geritten war, krachte noch ein Schuß. Jade stürmte am Stallmeister vorbei und spähte durch ein kleines Fenster. Nirgends lag Caines Körper in einer Blutlache, und sie konnte wieder atmen.
»Gehen Sie lieber vom Fenster weg«, mahnte Kelley hinter ihr. Sie ignorierte diese Anweisung, bis er an ihrem Arm zu zerren begann. »Mylady, bitte, warten Sie woanders auf den Marquis. Setzen Sie sich da drüben hin. Er wird bald zurückkommen.«
Aber sie konnte sich nicht setzen. Rastlos ging sie auf und ab und wünschte verzweifelt, Matthew und Jimbo würden die Eindringlinge überwältigt haben. Die beiden zählten zu ihren treusten Männern und waren ungemein tüchtig, denn Black Harry hatte persönlich für ihre Ausbildung gesorgt.
Alles ist Caines Schuld, entschied sie. Gewiß würden ihre Nerven jetzt nicht so flattern, wäre er der Mann, dessen Qualitäten in dem Dossier gepriesen wurden. Aber er schien zwei verschiedene Charaktere zu besitzen. Natürlich enthielt die Akte die reine Wahrheit. Seine Vorgesetzten beschrieben ihn als kühlen, methodischen Mann.
Doch der Caine, den sie kennengelernt hatte, erschien ihr keineswegs als kühl. Sicher würde er ihr noch große Schwierigkeiten bereiten, vor allem, weil er so unberechenbar und dadurch gefährlich war.
Plötzlich flog das Tor auf, und Caine stand da, vor seinem keuchenden, schweißüberströmten Hengst. Jade fühlte sich so erleichtert, daß ihre Knie weich wurden. Ehe sie sprechen konnte, sank sie auf den Stuhl, den Kelley für sie geholt hatte. »Alles in Ordnung?« würgte sie hervor.
Caine fürchtete einen Tränenausbruch und lächelte ihr beruhigend zu, ehe er das Pferd hereinführte. Er übergab dem Stallmeister die Zügel, scheuchte die Männer, die ihm gefolgt waren, wieder nach draußen und lehnte sich gegenüber von Jade lässig an die Wand. »Der Kampf war schon vorbei, als ich den Wald erreichte.«
»Ich verstehe nicht …«
»Die Schufte müssen sich anders besonnen haben.«
»Du brauchst mich nicht anzulügen!« fauchte sie »Und hör auf, so zu tun, als unterhielten wir uns über das Wetter! Erzähl endlich, was geschehen ist!«
Er seufzte. »Der Kampf war so gut wie vorüber, als ich hinkam.«
»Keine Lügen mehr, Caine!«
»Ich lüge nicht.«
»Dann versuch, Worte zu finden, die einen logischen Sinn ergeben.«
Noch nie hatte eine Frau in diesem Ton mit ihm geredet. Sie führte sich auf wie ein Feldherr. Caine mußte grinsen. »Es war ziemlich eigenartig. Zwei erwischte ich, dann ritt ich zu der Stelle, wo sich die anderen meiner Meinung nach versteckt hatten. Aber sie waren verschwunden.«
»Sie sind geflohen?«
Caine schüttelte den Kopf. »Allem Anschein nach hat ein Kampf stattgefunden.«
»Deine Männer …«
»Die waren bei mir.«
Jade faltete die Hände im Schoß und senkte den Kopf, um ihre Freude zu verbergen. Matthew und Jimbo hatten offenbar gute Arbeit geleistet. »Das ist in der Tat merkwürdig.«
»Wir haben Kampfspuren gefunden.« Aufmerksam beobachtete er sie.
»Welche?«
»Fußabdrücke – Blut an mehreren Blättern, auch andere Anzeichen, aber keine Leichen.«
»Glaubst du, sie könnten einander bekämpft haben?«
»Völlig lautlos?« fragte er ungläubig.
»Du hast also nichts gehört?«
»Gar nichts.« Caine lehnte immer noch an der Wand, starrte Jade an, und sie starrte zurück. Er schien die Ereignisse der letzten Stunden zu überdenken, aber seine sonderbare Miene beunruhigte sie. Plötzlich erinnerte sie sich an die Geschichten, die Black Harry so gern erzählt hatte – von den wunderbaren, unberechenbaren Grizzly-Bären, die in der amerikanischen Wildnis umherstreiften und ihre menschlichen Jäger immer wieder überlisteten. Oft lockte so ein Bär seinen Verfolger in eine Falle, um ihn dann anzugreifen. Und der arme Jäger starb, ehe er merkte, daß er zum Gejagten geworden war.
War
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