Die Rache des Samurai
Nachricht klar wurde, die er soeben von seiner Spionin erhalten hatte, wuchsen dornige Ranken der Furcht aus seinem Herzen und sprossen bis in die Kehle und den Magen.
Und dabei war er so sicher gewesen, daß sein Plan, die Nachforschungen sōsakan Sanos zu vereiteln, reibungslos vonstatten ging! Kammerherr Yanagisawa wußte aus Aois letztem Bericht, daß Sano nun in ganz Edo nach einem Verdächtigen suchte, den es gar nicht gab; dafür hatte sie selbst gesorgt. Sanos Aussichten, den bundori- Mörder zu fassen, wären verschwindend gering gewesen, wäre alles wie geplant verlaufen.
Gewiß, Sanos Darlegungen auf der Ratssitzung hatten Yanagisawa mit Furcht und Schrecken erfüllt. Er allein hatte erkannt, wie nahe Sanos Theorie der Wahrheit kam; sie war dermaßen gut durchdacht, daß es Yanagisawa nicht gelungen war, die Theorie vollends zu entkräften. Und trotz seiner Bemühungen, Sanos Fähigkeiten in Frage zu stellen, besaß der sōsakan noch immer das Wohlwollen des Shōgun; deshalb konnte selbst er, der mächtige Kammerherr, diesen ärgerlichen Burschen nicht einfach dadurch loswerden, daß er ihn verbannen oder hinrichten ließ. Ja, es war ihm nicht einmal gelungen, den Mordfall Sano zu entziehen und der Polizei zu übergeben, die er voll und ganz in der Hand hatte. Dennoch war Yanagisawa sicher gewesen, letztendlich den Sieg davonzutragen.
Bis jetzt.
In ihrem Schreiben berichtete Aoi, daß ihr Plan fehlgeschlagen sei, Sanos Nachforschungen zu sabotieren: Sie hatte den sōsakan zu einem verlassenen Haus in den Sümpfen geschickt, in dem ihre Spitzel zuvor gefälschte Beweisstücke versteckt hatten. ›Nun aber, da der Mönch ermordet wurde, wird Sano wissen, daß ich ihn in die Irre geführt habe‹, hatte Aoi geschrieben, ›und er wird mir jetzt nicht mehr vertrauen.‹
Überdies konnten die Zeugen im Zōjō-Tempel dafür sorgen, daß Sano der Lösung des Falles und der Enttarnung des Mörders gefährlich nahe kam.
Und was noch schlimmer war: Von ihren Spitzeln in den Palastarchiven hatte Aoi erfahren, daß Sano an seiner Theorie festgehalten und seine Pläne weiter verfolgt hatte und daß er dabei auf Verdächtige gestoßen war. Yanagisawa brauchte gar nicht erst abzuwarten, bis Aoi sich die Namensliste beschafft und sie ihm geschickt hatte; er wußte, daß auch sein Name auf dieser Liste stand. Mit grellem Entsetzen stellte der Kammerherr sich seine Vernichtung durch den gefährlichsten Widersacher vor, dem er je gegenübergestanden hatte. Waren Sanos Nachforschungen erfolgreich, würde es Yanagisawas Untergang bedeuten.
Das Papier verbrannte, und Aois Worte wurden ausgelöscht, nicht aber die Ängste und Sorgen des Kammerherrn. Er erhob sich, ging durchs Zimmer, öffnete die Tür und rief seinen Diener, der augenblicklich erschien.
»Ja, Herr?«
Yanagisawa erteilte seine Befehle. Als der Diener davongeeilt war, den Anweisungen nachzukommen, schritt der Kammerherr im Zimmer auf und ab. Plötzlich verachtete er sich selbst, und er stieß ein bitteres Lachen hervor.
Im Umgang mit seinen Untergebenen gelang es ihm stets, als der selbstsichere und mächtige Kammerherr aufzutreten, der sich, alle anderen und jede Situation vollkommen beherrschte. Manchmal jedoch sorgten seine Ängste und Leidenschaften dafür, daß er in einen Zustand der Lähmung verfiel, der ihn unentschlossen und untätig werden ließ. Dann zweifelte er an seinem eigenen Urteil, konnte und wollte sich aber nicht Rat bei anderen holen – aus Furcht, das Gesicht zu verlieren und an Macht einzubüßen. Immer dann schritt er unruhig auf und ab, so wie jetzt; ein Mann, der im Gefängnis seines Ichs gefangen war.
Schließlich ging Yanagisawa ungeduldig zur Tür und blickte den Flur hinunter. Warum brauchte dieser Dummkopf von einem Diener so lange, seinem Herr das Verlangte zu holen?
Wieder begann der Kammerherr nervös auf und ab zu schreiten. Der Schweiß ließ seine Kleidung klamm werden; die schreckliche Furcht jagte heiße Flammenlohen durch seinen Körper, die ihn aushöhlten, bis er sich schwach und benommen fühlte. Und wer trug die Schuld an seinem jämmerlichen Zustand? Dieser verfluchte Sano Ichirō!
Yanagisawa erkannte, daß er sich einen Plan zurechtlegen mußte, um Sanos Nachforschungen ein für allemal ein Ende zu machen und die Bedrohung zu beseitigen, die ihm daraus entstand. Doch erst einmal brauchte er jene Entspannung, die er sich nur auf eine besondere Art und Weise verschaffen konnte.
Hinter ihm wurde die Tür
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