Die Rache des Samurai
das Ergebnis eines nachlassenden Verstandes gewesen sein. Ich aber glaube, der General hatte gute Gründe für sein Tun – und ich wüßte zu gern, um was es damals ging.«
Obwohl Matsuis Stimme und Haltung sich nicht verändert hatten, als er den letzten Satz sagte, konnte Sano spüren, daß der Kaufmann gelogen hatte. Dennoch hatte Matsui ihm eine Gelegenheit gegeben, tiefer zu bohren.
Mit ruhiger Stimme fragte Sano: »Würdet Ihr die Fehde gegen die Nachkommen Arakis und Endōs wieder aufnehmen, um den Geist des Generals zu beschwichtigen?«
Matsui drehte sich langsam um, wandte sich vom Porträt ab. Sano wagte nicht zu atmen. Jede Faser seines Inneren sagte ihm, daß Matsui eines Mordes fähig war, um General Fujiwara nach dessen Tod doch noch den Sieg über seine Feinde zu verschaffen. Nun brauchte er Matsui nur noch ein Geständnis zu entlocken.
»Wo wart Ihr gestern nacht, Matsui?« fragte er. »Und in den Nächten, als Kaibara und der rōnin Tōzawa ermordet wurden? Habt Ihr sie getötet?«
Matsui blickte Sano mit einem seltsam gehetzten Ausdruck an. Das Bild des beifällig lächelnden Shōgun stieg vor Sanos geistigem Auge auf. Das Bild seines Vaters, dem er nun vielleicht sein Versprechen einlösen konnte. Und das Bild Edos, dessen Einwohner nicht mehr vor dem bundori -Mörder zittern mußten.
Dann aber warf Matsui den Kopf in den Nacken, lachte und ließ Sanos zerbrechliches Traumgebilde zusammenstürzen. »Ihr seid sehr geschickt, sōsakan-sama «, sagte er, erhob sich und richtete spielerisch einen wedelnden Finger auf Sano. »Aber nicht geschickt genug, um den alten Matsui Minoru hereinzulegen. Betrachtet mich als Mörder, wenn Ihr wollt. Aber bedenkt, was ich Euch jetzt sagen werde.«
Er wandte sich Sano zu, in kerzengerader Haltung, die Arme vor der Brust verschränkt: Nun war er wieder ganz der ausgekochte, unerbittliche Kaufmann, der keinerlei Zugeständnisse machte. »Hätte ich Euch diesen Schrein gezeigt, wenn ich der Mörder wäre, den Ihr sucht? Und gäbe es hier irgendwo eine blutbespritzte Werkstatt, in der ich meine Trophäen herstelle, ich hätte Euch nicht einmal in mein Haus gelassen! Ich gebe Euch die Erlaubnis, Euch hier und in meinen anderen Häusern umzuschauen; in meinen Banken und Geldverleih-Stuben, in den Schreibstuben meiner Schiffahrtsunternehmen. Dort werdet Ihr auch nichts finden. Ihr könnt meine Angestellten vernehmen. Sie werden Euch sagen, daß ich ein guter und angesehener Bürger bin.«
Sano war sprachlos, als er diese unverblümten Worte hörte. Waren Matsuis »Vertraulichkeiten« nichts weiter als ein Scherz auf seine, Sanos, Kosten gewesen? Oder verstellte Matsui sich jetzt bloß, um den Schaden zu beheben, den er mit seiner Offenheit angerichtet hatte?
»Und in den Nächten, in denen die Morde verübt wurden«, fuhr Matsui in dem gleichen herausfordernden Tonfall fort, »war ich zu Hause, hier in diesem Raum.« Er wies auf die Männer vor der Tür und fügte hinzu: »Meine Wächter werden sich für mich verbürgen. Sie begleiten mich auf Schritt und Tritt. Und nun müßt Ihr mich entschuldigen, sōsakan-sama ; ich habe noch geschäftliche Dinge zu erledigen. Falls Ihr weitere Fragen habt, müßt Ihr mich verhaften. Aber laßt Euch diesen Schritt gut durch den Kopf gehen! Ich bezweifle sehr, daß der Shōgun es Euch danken würde, wenn seine Geschäfte ins Stocken gerieten und sein Goldschatz nicht weiter wächst.«
21
A
m Nachmittag kehrte Sano in den Palast von Edo. zurück. Er fühlte sich erschöpft und entmutigt, als er zum Haupttor ritt, um Chūgo Gichin aufzusuchen, den Hauptmann und zweiten Tatverdächtigen. Anschließend wollte er sich zu seinem miai begeben. Da Sano im Palast keine geheimen Nachforschungen anstellen konnte – Chūgo wurde zweifellos von Spitzeln über jeden Schritt Sanos unterrichtet –, hoffte er, daß ein überraschendes Zusammentreffen mit dem Hauptmann ergiebiger sein würde als das Gespräch mit Matsui.
Auch wenn der Kaufmann die Tat geleugnet hatte und obwohl der gesunde Menschenverstand Sano sagte, daß Matsui seinen Reichtum und seine Stellung nicht aufs Spiel setzen würde, um eine Fehde wiederaufzunehmen, die längst beendet war – Matsui war und blieb einer der Hauptverdächtigen. Sano war überzeugt, daß der Kaufmann auf verhängnisvolle Weise von General Fujiwara besessen war; überdies hatte Sano gespürt, daß Matsui zu Gewalttaten fähig war. Auch wenn ihre Begegnung nur kurz gewesen war, hatte Sano das
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