Die Rache des Samurai
frisch. Trotz all des Luxus, von dem er umgeben war, verbrachte Matsui offenbar viel Zeit in dieser kleinen, dunklen Kammer und hielt Zwiesprache mit dem Geist seines Ahnen.
Matsuis kräftige Stimme drang in Sanos Gedanken. »Nur weil ich kein Samurai mehr bin, bedeutet das noch lange nicht, daß ich meine Herkunft verleugne, sōsakan-sama . Was im Blut liegt, kann man niemals verlieren.« Er wies auf das Porträt. »Seht Ihr die Ähnlichkeit mit mir?«
Sano nickte. Der Händler hatte recht: Das stilisierte Gesicht General Fujiwaras trug Matsuis Züge. Nur der Ausdruck war anders: ernst und streng, ließ es einen großen Krieger erkennen.
Matsui umrundete die Kammer und hob dabei Gegenstände von den Podesten, damit Sano sie betrachten konnte. »Das sind die persönlichen Hinterlassenschaften des Generals, die ich geerbt habe. Und ich werde jeden Preis zahlen, auch jene Gegenstände zu erwerben, die im Laufe der Zeit verlorengegangen sind. Dies hier ist sein Helm.« Zärtlich strich er über die schartige metallene Oberfläche. »Und das hier ist sein Kriegsfächer.« Es war eine goldene Scheibe, die an einem Stab aus Eisen befestigt war; auf der Scheibe war in abblätternder roter Farbe ein Wappen zu sehen: eine Mondsichel. »Und die Schriftrollen, die Ihr hier seht, berichten von seinen Heldentaten. Und das hier …«
Als Matsui seinem Besucher einen Handschutz samt Kettenpanzerung für den Arm reichte, sank seine Stimme zu einem ehrfürchtigen Flüstern herab: »Diesen Handschutz hat der General in der Schlacht von Anegawa getragen. Er wurde verwundet. Die dunklen Flecken stammen von seinem Blut.«
Ein eisiger Schauer lief Sano über den Rücken, als er sah, daß Matsuis Lächeln verschwunden war. In seinen Augen, die starr auf das grausige Relikt gerichtet waren, leuchtete eine beinahe irre Besessenheit. In diesem Moment besaß er eine verblüffende Ähnlichkeit mit General Fujiwara.
Er sah wie ein Krieger aus, der dazu fähig war, seine Feinde zu töten.
Vorsichtig sagte Sano: »Ihr habt große Achtung vor Eurem Ahnherrn. Möchtet Ihr auch so ein Leben führen, wie er es geführt hat?«
»Oft.« Matsui seufzte tief; seine Hände streichelten den Handschutz. »Wenn ich den Tag mit geschäftlichen Dingen verbracht habe, wenn ich mein Geld gezählt und wieder einmal versucht habe, meine Rivalen auszustechen, sehne ich mich nach der Schlichtheit des bushidō . Vollkommene Treue und Gehorsam einem Fürsten gegenüber. In der Schlacht für seinen Herrn zu sterben. Was könnte reiner und edler sein?« Matsui kicherte. »Es ist so ganz anders als das schmutzige Geschäft, Geld zu scheffeln. Wußtet Ihr eigentlich, daß meine Vettern jede Verbindung zu mir abgebrochen haben, als ich Kaufmann wurde?«
Entweder lag es am Schrein, daß Matsui das plötzliche Verlangen hatte, sich Sano anzuvertrauen, oder er stellte diese Offenheit zur Schau, um sich vom Verdacht reinzuwaschen. Sano wußte nicht, was Matsui antrieb, doch er ermunterte ihn, mehr von sich preiszugeben.
»Es muß Euch geschmerzt haben, daß Eure Familie nichts mehr von Euch wissen wollte«, sagte er.
»Oh, ja«, entgegnete Matsui traurig. Er legte den Handschutz und die anderen Gegenstände zurück und kniete vor dem Altar nieder. »Ich stelle mir gern vor, ein großer General zu sein und Schlachten zu schlagen. Doch es scheint meine Bestimmung zu sein, andere nicht auf der Jagd nach einem Feind, sondern auf der Jagd nach Geld anzuführen. Dennoch schmerzt mich die Herablassung meiner Vettern nicht so sehr wie der Gedanke, was er darüber denken würde«, Matsui verbeugte sich vor dem Porträt, »was ich unserer Familie angetan habe.«
»Demnach wollt Ihr Euch die Achtung General Fujiwaras verdienen?«
Ein Seufzer; ein andächtiger Blick auf das Porträt. »Manchmal glaube ich, daß ich meinen ganzen Besitz dafür hergeben würde.«
»Was wißt Ihr über die Fehde des Generals mit den Klans der Araki und der Endō?« fragte Sano leise, um Matsui nicht aus seiner in sich gekehrten Stimmung zu reißen.
Er hatte damit gerechnet, daß Matsui nun erklären würde, gar nichts von einer solchen Fehde zu wissen, doch der Kaufmann antwortete ohne zu zögern: »Mein Großvater, der unsere Familiengeschichte erforscht hat, betrachtete diese Fehde als rätselhaften, aber bedeutungslosen Epilog zu einem vorbildlichen Leben. General Fujiwara war krank, als er die Angriffe auf die Klans der Araki und Endō führte. Sein Zorn auf diese beiden Familien könnten
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