Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rache des Samurai

Die Rache des Samurai

Titel: Die Rache des Samurai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
Vom Netzwerk:
wie das von Matsui, aber noch schwerer zu widerlegen. Die Wachen des Palasts von Edo – die Torwächter eingeschlossen – waren ihrem Hauptmann zum Treueid verpflichtet. Sie würden jede Geschichte bestätigen, die er erzählte und sich bei jedem Streitgespräch auf seine Seite schlagen, besonders wenn der Widersacher ein Beamter war, der die Gunst des Shōgun verloren hatte. Selbst wenn es Sano gelang, einen tapferen oder über Chūgo verärgerten Soldaten ausfindig zu machen, der den Mut zur Wahrheit hatte – tausend andere würden schwören, daß Chūgo sich bei jedem der vier Morde im Palast aufgehalten hatte. Und ohne weitere Beweise würde kein Magistrat ihn schuldig sprechen. Sano mußte an die zwei Kimonos denken, die er noch den Schneidern zeigen mußte, und an die geheimnisvolle verschwundene Zeugin aus dem Zōjō-Tempel. Und er fragte sich, ob Hirata bei seiner Suche nach dem Erbauer der Drachensänfte Glück hatte oder ob er gar die Identität des Mörders hatte aufdecken können.
    »Besitzt Ihr eine Sänfte, die mit einem fauchenden Drachen bemalt ist?« fragte er.
    »Nein. Ich benütze die Sänften des Palasts.« Und die trugen außer dem Wappen der Tokugawa keinerlei Verzierungen.
    »Habt Ihr jemals einen Söldner für Euch arbeiten lassen? Einen Schwertkämpfer?«
    Diesmal hob sich ein Mundwinkel Chūgos zu einem sardonischen Lächeln. »Wenn ich jemanden töten will, tue ich es selbst.«
    Sano versuchte es mit einer Fangfrage. »Was würdet Ihr sagen, wenn ich Euch erzähle, daß ein Zeuge Euch gestern nacht außerhalb des Palasts gesehen hat?«
    Chūgo kaute, schluckte und wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab. »Ich würde sagen, Ihr lügt. Oder Euer Zeuge.«
    Sano wurde immer ratloser und verzweifelter. Chūgo hatte weder Besorgnis erkennen lassen, noch hatte er sich danach erkundigt, ob es sich denn nun um einen Zeugen oder eine Zeugin handelte.
    Der Hauptmann beendete sein Mahl. »Nun habt Ihr genug falsche Beschuldigungen vorgebracht, sōsakan-sama «, sagte er. »Es wird Zeit, daß Ihr geht.«
    Er erhob sich, schlenderte zur Tür und legte die Hände trichterförmig an den Mund. Dann rief er mit so lauter Stimme nach seinen Leutnants, daß seine Rufe über ein Schlachtfeld hinweg zu hören gewesen wären. Augenblicke später wurde Sano von zwei Männern gepackt und aus dem Befehlsstand gezerrt, während Chūgo sich wieder seiner Arbeit zuwandte.
    »Laßt mich los!« rief Sano. Es gelang ihm, die Hände der Männer abzuschütteln, doch den zwei Häschern kamen weitere zu Hilfe. Sie hoben Sano auf die Schultern, trugen ihn über den Platz und warfen ihn bäuchlings auf sein Pferd. Jemand versetzte dem Tier einen Schlag gegen den Rumpf. Sano konnte sich gerade noch aufrecht in den Sattel setzen, bevor das Pferd durchging. Der Trupp stieß ein grölendes Gelächter aus, das über das ganze Gelände hallte, und verabschiedete Sano mit hämischen Rufen.
    Schäumend vor Wut ritt Sano davon und malte sich seine Rache aus. Oh, welche Freude würde es ihm bereiten, Chūgos Verhaftung, Verurteilung und Hinrichtung wegen der bundori- Morde zu erleben! Der Charakter des Hauptmanns, seine Schwertkunst, sein Wissen um die Kriegsrituale – das alles waren Verdachtsmomente, die viel zu gewichtig waren, als daß sein Alibi sie zerstreuen konnte. Doch zuerst einmal lenkte Sano sein Pferd in Richtung des Beamtenviertels. Er hatte keine Zeit, sich persönlichen Rachegelüsten hinzugeben. Falls er sich nicht beeilte, kam er zu spät zu seinem miai .
    Unterwegs hielt er einen Botengänger des Palasts an. Er zog den Brief unter seiner Schärpe hervor, den er in einer Schreibwarenhandlung auf dem Hügel Suruga geschrieben hatte. In diesem Brief legte er ausführlich seinen Plan für die kommende Nacht dar. Sano hatte gehofft, dieser Plan würde sich als überflüssig erweisen; nun aber erschien er ihm von höchster Wichtigkeit – besonders, weil dieser Plan bewirken konnte, daß keine Nachforschungen über Kammerherr Yanagisawa angestellt werden mußten. Sano reichte dem Boten das Schreiben sowie ein großzügiges Trinkgeld, damit der Brief rasch überbracht wurde.
    »Bring das hier sofort zum dōshin Hirata in die Polizeikasernen«, sagte Sano.
    Dann eilte er nach Hause, um sich auf den miai vorzubereiten.

22

    D
    er Kannei-Tempel befand sich im Norden des Palastes, im hügeligen, ländlichen Bezirk Ueno. Seiner Kirschblütenpracht wegen war der Tempel eines der beliebtesten Ziele der Einwohner Edos. In jedem

Weitere Kostenlose Bücher