Die Rache des Samurai
vergessen.
»Er war das neueste Spielzeug des Shōgun. Er führte mich in seine Privatgemächer im Palast. Dort ließ er mir Speisen bringen und hörte sich mit tiefem Mitgefühl meine Geschichte an. Ich war so dankbar, daß ich weinte. Er war so hübsch, so gütig. Ich war sicher, er würde mir helfen. Aber dann …«
O-tamas Stimme brach. »Er tat mir Gewalt an«, flüsterte sie. »Er nahm mich … von hinten. Und dann warf er mich ohne einen sen hinaus. Noch am gleichen Tag sah der Besitzer der Wasserlilie mich durch die Straßen streifen und bot mir eine Stelle als yuna an. Mir blieb keine Wahl, als anzunehmen … und ich besaß auch nicht mehr den Stolz, sein Angebot auszuschlagen.
Und deshalb, sōsakan-sama , habe ich keine Bindung mehr zu den Menschen, die kein Erbarmen mit mir hatten, als ich ein hilfloses Mädchen war. Natürlich hat meine Geschichte ein glückliches Ende. Doch ich habe immer davon geträumt, mich eines Tages an Matsui, Chūgo und vor allem an Kammerherr Yanagisawa rächen zu können. Das habe ich hiermit getan. Einer von den dreien ist der bundori- Mörder. Und nun, da ich Euch das verbotene Geheimnis anvertraut habe, habe ich Euch hoffentlich den Täter ausgeliefert.«
Obwohl ihre Stimme sich anhörte, als würde sie die Wahrheit sagen, klammerte Sano sich an die schwache Hoffnung, daß O-tama selbst die Morde verübt hatte, nicht Yanagisawa. Sano wußte, daß Frauen zu einem Mord fähig waren; überdies war es ihre traditionelle Aufgabe gewesen, nach Schlachten Trophäen anzufertigen. Außerdem zeigte O-tama ihren Wunsch nach Rache mit unverhohlener Gier. Und es gab noch einen weiteren Grund.
»Das Geheimnis belastet auch Euch«, sagte Sano.
Wieder lachte O-tama, doch diesmal schwang Trauer darin mit. »Ich habe nichts zu befürchten, sōsakan-sama .«
»Wenn das stimmt – wo wart Ihr dann an den Abenden, als die Morde verübt wurden?«
»Hier, zu Hause, wo ich immer bin.« Eine Pause; der Schatten ihres Kopfes neigte sich nachdenklich zur Seite. »Ihr wollt den Beweis?«
»Bitte«, sagte Sano.
Er rechnete damit, daß sie Mimaki herbeirufen ließ, um ihr Alibi von ihm bestätigen zu lassen; statt dessen bestellte O-tama ein Hausmädchen zu sich und sagte: »Nimm den Schirm fort.«
»Aber, Herrin …«, stieß das Hausmädchen erschreckt hervor. »Der Herr …«
Schweigen gebietend hob sich O-tamas Schattenhand. »Tu was ich sage.«
Das Hausmädchen zerrte den Schirm zur Seite, wobei sie einen unruhigen Blick zur Tür warf.
Sano klappte vor Entsetzen der Mund auf. Dann verdrängte Ekel den Schock.
O-tamas kleiner, dünner Körper, der auf einem Stapel seidener Kissen ruhte, war gebogen und verkrümmt wie ein verwachsener Ast. Ihr rechter Arm, gebeugt und in der Schulter hochgezogen, lag am Körper an und endete in einem ledernen Stumpf. Nur ein winziger, bestrumpfter Fuß schaute unter ihrem prachtvollen roten Seidenkimono hervor. Am erschreckendsten aber war ihr Gesicht, das einen entsetzlichen Kontrast zu ihrer makellosen schwarzen Perücke bildete: Eine Masse runzeligen, narbigen Gewebes hatte die rechte Seite ihres Gesichts vollkommen unkenntlich gemacht. Auf der linken, unversehrten Seite des Kopfes war unter einem halb geöffneten Lid ein trübes, blickloses Auge zu sehen.
Sano dankte den Göttern, daß O-tama seine Reaktion nicht hatte sehen können. Sein Ekel schwand, und voller Mitleid und ehrfürchtiger Scheu neigte er den Kopf. Der Brand in der Wasserlilie hatte O-tama von ihrem verachteten Beruf befreit, doch ihren Körper verwüstet. Die Öffentlichkeit hatte keine Ahnung, wie tief Mimakis Liebe zu dieser Frau war. Er hatte die blinde, entstellte und verkrüppelte Prostituierte in sein Haus aufgenommen, um sie zu hegen und zu pflegen und in Abgeschiedenheit mit ihr leben zu können – nicht aus Eifersucht, sondern um ihr schreckliches Geheimnis zu verbergen. Mimaki hatte den üppigen, duftenden Garten angelegt und die Windglöckchen und Vogelhäuser angebracht, damit die blinde O-tama in ihrer finsteren Welt wenigstens die Düfte riechen und die Geräusche hören konnte. Der seltsame Holzstuhl diente Mimaki offenbar dazu, O-tama über Wege zu schieben, die sie nicht mehr gehen konnte. Und dem Ausdruck seines Gesichts nach zu urteilen, als er hinter dem Schirm hervorgekommen war, liebte Mimaki O-tama noch immer. Niemand hätte sich ein ergreifenderes Ende dieser skandalösen Romanze vorstellen können.
Oder ein besseres Alibi.
»Wir Ihr seht, sōsakan-sama
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