Die Rache des Samurai
fragte sich Sano – und kauerte sich Augenblicke später zusammen, das Schwert kampfbereit erhoben, denn Chūgo hatte sich umgewandt und kam nun auf Hirata und ihn zu. Offenbar sagte er sich, daß seine beiden Verfolger ein Hindernis darstellten, das er sehr viel leichter beseitigen konnte.
»Sano Ichirō!« Der Ruf lenkte Sanos Aufmerksamkeit von Chūgo ab, der ebenfalls innehielt; auch ihn ließ die befehlsgewohnte, vertraute Stimme verharren. Kammerherr Yanagisawa steckte den Kopf aus der Sänfte. »Hört mir zu, Sano Ichirō, Ihr erbärmlicher Dummkopf!«
Ohne auf den Regen und den Wind zu achten, die seine leuchtend bunten Seidengewänder flattern ließen und durchnäßten, sprang Yanagisawa aus der Sänfte. Er rannte den Hang hinauf, wobei er mit seinen hohen hölzernen Sandalen immer wieder auf dem Schlamm ausglitt.
»Ihr haltet Euch wohl für besonders klug?« rief er Sano zu. »Ja, ich war in der Nacht, als der Mönch ermordet wurde, am Zōjō-Tempel. Aber glaubt Ihr wirklich, Ihr könnt mich des Mordes überführen, nur weil eine Zeugin dort meine Sänfte gesehen hat? Glaubt Ihr wirklich, Ihr könnt mich mit einem gefälschten Brief und einem Schwert, das es gar nicht gibt, in die Falle locken?« Sein glänzendes, regennasses Gesicht verzerrte sich vor Haß und Zorn. »Ich bin der Mann, der über dieses Land herrscht. Ich weiß alles. Ich bin allmächtig. Und Ihr Wurm wagt es, mich eines Mordes zu bezichtigen? Ihr wagt es, Euren Verstand mit dem meinen zu messen?«
Yanagisawa rutschte aus, fiel auf ein Knie, rappelte sich auf. Seine grelle Wut war ungebrochen. »Aber nun bin ich gekommen, Eurem jämmerlichen kleinen Komplott ein Ende zu machen. Jetzt werde ich Euch ein für allemal vernichten!« Er stieß Chūgo zur Seite, den er gar nicht wahrzunehmen schien, trat auf Sano zu und blieb hoch aufgerichtet vor ihm stehen. »Nie werdet Ihr den bundori- Mörder fassen! Und niemals, niemals werdet Ihr meinen Platz als Günstling des Shōgun einnehmen!«
Der Wind ließ die leuchtenden Gewänder des Kammerherrn flattern und peitschte die Regenschwaden um seine hochgewachsene Gestalt. Immer wieder rissen grelle Blitze sein wutverzerrtes Gesicht aus dem Dämmerlicht, und das Krachen des Donners untermalte seine Worte, so daß er wie ein Rachegott erschien. Zu spät erkannte Sano, daß nicht die Schuld, sondern die Eifersucht diesen Mann dazu getrieben hatte, die Nachforschungen bei den bundori- Morden zu behindern.
»Ihr werdet sterben, bevor Ihr mein Vermögen, meine Macht oder meine Stellung an Euch reißen könnt!« tobte Yanagisawa.
Mit plötzlicher, erschreckender Klarheit wußte Sano, was nun passieren würde – und dann geschah es auch schon. »Vorsicht, Kammerherr Yanagisawa!« rief er.
Seine Warnung kam zu spät. Noch bevor er die letzte Silbe ausgesprochen hatte, stand Chūgo hinter Yanagisawa; den einen Arm hatte er dem Kammerherrn um die Brust geschlungen, mit dem anderen hielt er ihm die Schwertklinge vor das angstverzerrte Gesicht.
»Niemand rührt sich!« befahl Chūgo. »Wenn jemand näher kommt, töte ich ihn.«
Sano verharrte mitten im Schritt. Sein Verstand war ein weißes Laken blanken Entsetzens. Weiter unten am Hang hatten die Fußsoldaten ihre Schwerter gezogen, und die Reiter waren von den Pferden gesprungen, um ihrem Herrn zu Hilfe zu eilen. Nun verharrten sie regungslos. Das Licht der Blitze erhellte flackernd die fassungslosen Gesichter der Männer, und das Donnergrollen übertönte ihre wütenden Schreie.
»Was erlaubt Ihr Euch?« stieß Yanagisawa erstickt hervor. »Laßt mich sofort los!«
Er drehte den Kopf und blickte den Mann an, der ihn in seiner Gewalt hatte – und schien erst jetzt zu erkennen, daß es Chūgo war. Der Zorn wich aus seinen Zügen und wurde zuerst von Erstaunen, dann von ängstlichem Begreifen verdrängt. »Chūgo Gichin? Der Hauptmann der Palastwache … der bundori- Mörder ? Ihr seid Sano Ichirō in die Falle gegangen?«
Yanagisawa wand sich und versuchte, das Gesicht vom Schwert wegzudrehen und sich aus der Umklammerung Chūgos zu befreien. »Ich bin Euer befehlshabender Offizier, Chūgo. Laßt mich los!« Die Todesangst raubte Yanagisawas Stimme die gewohnte Befehlskraft. »Wachen! So helft mir doch!«
Sano stand sprungbereit da; jeder Muskel war zum Zerreißen gespannt. Er überlegte fieberhaft, wie er Chūgo überwältigen könnte, ohne daß dieser Yanagisawa verletzte oder gar tötete. Er sah die wilde Entschlossenheit in Chūgos Augen. Die
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