Die Rache des Samurai
Shōgun sicher sein konnte, »daß dieser erste Mord Hinweise auf das Motiv und die Person des Mörders liefern kann.«
»Eine scharfsinnige … äh … Schlußfolgerung.« Gedankenvoll rieb der Shōgun sich über das Kinn.
Doch Sanos Triumph war nur von kurzer Dauer. »Ein weiterer Mord«, sagte Yanagisawa, und seine dunklen, stechenden Augen funkelten boshaft. »Nun, sōsakan Sano, widerspricht das nicht Eurer Theorie, daß der Mörder ein Feind Kaibaras sein müsse?« Mit Scharfblick entdeckte er immer wieder die Schwachpunkte in Sanos Darlegungen. »Es ist wirklich erstaunlich, wie Ihr es an nur einem einzigen Tag geschafft habt, aus einem schlichten Mordfall eine derart komplizierte Angelegenheit zu machen.« Sein verächtliches Lachen jagte Sano einen eiskalten Schauder über den Rücken. »Meint Ihr nicht auch?«
»Nein!« Immer mehr in die Enge getrieben, ließ Sano alle Vorsicht außer acht. »Dieser andere Mord hat vielversprechende neue Möglichkeiten eröffnet, was die Nachforschungen betrifft.« Sano begann, seine Pläne für den nächsten Tag zu umreißen, verstummte aber, als er sah, daß Tsunayoshi sehnsüchtig zur Tür schaute. Wieder lachte Yanagisawa und besiegelte damit Sanos Niederlage.
Unter der Oberfläche aus hilflosem Zorn verspürte Sano das beängstigende Gefühl der Einsamkeit und Verlorenheit, das ihn quälte, seit er in den Palast von Edo gezogen war. Das heutige Zusammentreffen ließ ihn seltsame Unterströme spüren, die ihn in die Tiefe zu ziehen drohten oder zumindest die Gefahr bargen, ihn in die falsche Richtung zu führen. Der Kammerherr wollte offensichtlich verhindern, daß der bundori- Mörder gefaßt wurde. Warum? Überdies hatte Yanagisawa den Zeitpunkt für die Unterbrechung des Gesprächs offenbar mit Absicht gewählt und war nur deshalb mit dem jungen Schauspieler erschienen, um den Shōgun abzulenken. Sano verspürte einen plötzlichen Stich der Angst.
»Was die Polizei betrifft, Hoheit …«, begann er.
»Ah, ja«, mischte Yanagisawa sich wieder ein und runzelte die Stirn. »Es ist eigenartig, daß Ihr in Anbetracht der umfassenden Hilfe, die Euch gewährt wird, bislang noch nichts erreicht habt.« Das boshafte Funkeln in seinen Augen strafte seine gespielte Besorgnis Lügen. »Aber ich sehe keinen Grund, daß wir uns über die Polizei unterhalten. Ich habe persönlich die entsprechenden Befehle erteilt, dafür zu sorgen, daß wenigstens die Bemühungen der Polizei auch weiterhin zu so zufriedenstellenden Ergebnissen führen wie bisher.«
Obwohl Sanos Magen sich vor Abscheu verkrampfte, kam er nicht umhin, Yanagisawas Gerissenheit zu bewundern. Der Kammerherr hatte ihn daran gehindert, dem Shōgun zu berichten, daß die Polizei gar nicht den Befehl erhalten hatte, ihm zu helfen, und daß ihm bislang auch gar keine Hilfe zuteil geworden war. Doch Yanagisawas Worte erhärteten Sanos Verdacht, daß der Kammerherr für das Ausbleiben polizeilicher Hilfe verantwortlich war und daß er sie vermutlich auch in Zukunft verhindern würde. Sanos Gefühl, in schwarze Tiefen gezogen zu werden, wurde schier unerträglich, als ihm in vollem Umfang deutlich wurde, in welche Lage Yanagisawa ihn gebracht hatte.
Um sich der Hilfe der Polizei zu versichern, die er unbedingt brauchte, um diesen Fall lösen zu können, mußte er Yanagisawas Sabotage enthüllen und den Shōgun bitten, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Doch der Kodex des bushidō untersagte Sano sowohl das eine wie das andere. Wieder hörte er die Stimme seines Vaters:
›Jede Kritik an dem hohen Beamten eines Fürsten beinhaltet die unausgesprochene Kritik an dem Fürsten selbst – Lästerung! Und ein Samurai hat nicht das Recht, Forderungen an seinen Herrn zu stellen.‹
Also mußte Sano nötigenfalls nicht nur einen baldigen Erfolg opfern, sondern letztendlich seine ganze Karriere, um den Kodex des bushidō zu befolgen. Er war zwischen den beiden Versprechen gefangen, die er seinem Vater gegeben hatte: ein vorbildlicher Samurai zu sein und dem Namen seiner Familie unsterblichen Ruhm zu machen. Sie widersprachen einander und hatten Sano in eine ausweglose Lage gebracht. Wie sehr er sich nach dem Rat des Vaters sehnte!
Yanagisawas triumphierendes Lächeln ließ erkennen, daß er um Sanos Zwangslage wußte und sich darüber freute. »Da Ihr so viele …«, seine Stimme wurde hämisch, »vielversprechende neue Möglichkeiten für Eure Nachforschungen gefunden habt, solltet Ihr jetzt lieber keine Zeit mehr auf
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