Die Rache des Samurai
Gespräche verschwenden.« Er wandte sich dem Shōgun zu. »Was meint Ihr, Hoheit?«
»Was? Oh, ja.« Tsunayoshi richtete den Blick aus seinen verschleierten Augen auf Sano. »Übermorgen werde ich den Ältestenrat zusammenrufen. Dann werdet Ihr uns über die neuesten Ergebnisse Eurer … äh … Nachforschungen berichten. Sorgt dafür, daß Ihr bis dahin bessere Fortschritte macht.« Er winkte mit der Hand. »Ihr könnt gehen.«
Sano kam sich schrecklich – und ungerechterweise – herabgesetzt vor, doch ihm blieb nichts anderes übrig, als sich zum Abschied zu verbeugen und sich zu erheben. Als er Yanagisawa und Tsunayoshi den Rücken zuwandte und ging, kam ihm der Weg zur Tür wie der Beginn einer Straße vor, die ihn zum unausweichlichen Versagen führte. Dennoch mußte er diesen Weg beschreiten und dabei versuchen, beide Versprechen einzulösen, die er seinem Vater gegeben hatte – dem Kodex des bushidō zu gehorchen und eine Heldentat zu vollbringen. Und dabei stand er praktisch ganz allein und sah sich Hindernissen gegenüber, zu denen nun ein neuer und mächtiger Feind zählte.
Bevor die Tür hinter ihm geschlossen wurde, hörte Sano, wie der Shōgun zu Yanagisawa sagte: »Ich werde diese Nacht in meinen … äh … Gemächern verbringen. Sorgt dafür, daß ich bis morgen früh nicht gestört werde.«
8
D
er Momijiyama – der Tempel mit dem Ahnenschrein der Tokugawa – war das Herz des Palasts von Edo und sein heiligster und abgeschiedenster Ort. Hier, hoch oben auf der Hügelkuppe, eingehüllt von Kiefern- und Zypressenwäldchen und von hohen steinernen Mauern umgeben, ruhten die Gebeine der einstigen Tokugawa-Shōgune: Ieyasu, Hidetada, Iemitsu, Ietsuna. Ihre Geister schützten den Palast und sorgten dafür, daß das Herrscherhaus der Tokugawa bis in alle Ewigkeit fortbestand.
Zögernd blieb Sano vor dem Tempel stehen. Zu beiden Seiten des hoch aufragenden Torii-Tores, wie man den Toreingang zu Shinto-Tempeln bezeichnete, loderten Flammen in riesigen Lampen aus Stein. Unmittelbar hinter dem Tor flankierte ein Paar knurrender persisch-indischer Tempelhunde den mit Platten ausgelegten Gehweg, um sowohl böse Geister wie auch irdische Eindringlinge abzuschrecken. Hinter den Tieren führte der Gehweg zwischen zwei Reihen von Kiefern hindurch und endete vor einer steilen Treppe, die hinauf zum Hauptbereich des Tempels führte. Hier erleuchteten kleinere Lampen den Weg; ihre winzigen Flammen flackerten tapfer unter dem gewaltigen, sternenübersäten Abendhimmel.
Eine primitive, instinkthafte Unruhe regte sich in Sanos Innerem, als er das Heiligtum betrat. Auf diesem dunklen, einsamen Hügel, im kalten, beständigen Wind, der in den Kiefern rauschte und den schwachen Geruch von Weihrauch mit sich trug, schien man dem Reich der Geister sehr nahe zu sein. Sano stellte sich gespenstische Wesen vor, die zwischen den Bäumen lauerten oder in den Felsen, den Tempelgebäuden oder im Erdboden hausten. Nur Sanos Entschlossenheit, seine Verabredung mit Aoi einzuhalten und seine Neugierde, was ihre übernatürlichen Gaben betraf, trieben ihn die Stufen hinauf.
Am oberen Ende der Treppe wehte der Wind noch stärker, und die Dunkelheit wurde nur vom silbernen Sternenlicht erhellt, das durch die Baumkronen fiel. Am Zeremonienbecken – einem großen steinernen Brunnen, der von einem Rieddach überdeckt war – blieb Sano stehen. Das eisige Wasser stach ihm in die Haut, als er sich die Hände wusch.
»Aoi?« rief er.
Der Wind peitschte seine Worte davon. Sano ging einen Pfad entlang, der im Zickzack zwischen den Bäumen und den verschiedenen Tempelgebäuden hindurchführte, die er in der Dunkelheit nicht erkennen konnte. Schließlich kam er an einer Pagode vorüber, deren stufenförmige, verschachtelte Spitze in den Himmel stach, und gelangte auf einen großen, freien Platz. Auf der gegenüberliegenden Seite brannten Laternen vor der Hauptgebetshalle, wo Aoi wartete – eine regungslose, stumme, schwarzgekleidete Gestalt, die eine kleine, leuchtende Lampe aus Papier hielt.
Zögernd hob Sano die Hand zum Gruß; es widerstrebte ihm, noch einmal die Stimme zu erheben. Alles an diesem Treffen – die späte Stunde, der abgeschiedene Ort und die düster-romantische Atmosphäre – ließ den Eindruck entstehen, daß es sich um ein heimliches Treffen zweier Liebender handelte. Als Sano über den Platz zu Aoi ging, ragten die Monumente des Tempels um ihn herum auf: die Schatzkammer, der Glockenturm, die Mausoleen. Sanos
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