Die Rache des Samurai
er zum Zeitpunkt des Mordes im Gefängnis saß.«
Daß irgend jemand, sogar ein Verrückter, den Wunsch haben konnte, ein Verbrechen zu gestehen, das er gar nicht begangen hatte, überstieg Sanos Begriffsvermögen. Offenbar hatten die bundori -Morde einen Strom des Wahnsinns freigesetzt, der dicht unter der Oberfläche Edos brodelte.
»Kommt«, brummte Tsuda und führte Sano in eine kahle, fensterlose Zelle. Sano kannte sie noch aus seiner Zeit als Polizeibeamter: In dieser Zelle wurden Gefangene im gesellschaftlichen Rang eines Samurai untergebracht und befragt. Somit blieb ihnen ein Aufenthalt im gefürchteten Gefängnis von Edo erspart. Tsuda zündete die Lampen an, rief zwei Wärter herbei, befahl ihnen, die Tür zu bewachen, und ging.
Sano wartete. Erst nachdem gut zwei Stunden vergangen waren, wurde die Tür geöffnet, und yoriki Hayashi kam herein.
»Ah, sōsakan-sama .« Seine Lippen verzogen sich zu einem hämischen Lächeln. »Ihr wollt also Euren Beitrag dazu leisten, daß der Ärger noch größer wird, den die Morde bereits verursacht haben?«
Sano biß nicht auf den Köder an. Hätte er entgegnet, daß er erst seit zwei Tagen an dem Fall arbeitete oder daß er nicht für die Massenhysterie verantwortlich sei, die durch die Morde entstanden war, hätte er Hayashi nur zu weiteren Anschuldigungen ermuntert und die Zusammenarbeit unmöglich gemacht, die Sano sich von dem yoriki erhoffte.
»Falls Ihr wegen der Unruhen in der Stadt besorgt seid, solltet Ihr mir helfen, den Mörder zu finden«, sagte Sano und versuchte, seiner Stimme einen ruhigen, vernünftigen Klang zu verleihen. »Ich möchte, daß mir weitere fünf dōshin zugeteilt werden. Sie sollen die Befragungen fortführen, während ihre Helfer von Haus zu Haus auf die Suche nach dem Mörder gehen. Außerdem brauche ich Schreiber. Sie sollen von jenen Bürgern, die Informationen über die Morde haben könnten, Aussagen einholen und diese niederschreiben.«
Hayashis Antwort bestand in einem lauten, verächtlichen Lachen. »Ihr erwartet von mir, daß ich mich Kammerherr Yanagisawas Befehlen widersetze – für Euch? Niemals!« Seine dreiste Häme und die angriffslustige Haltung verrieten, daß sein derbes, unfreundliches Gebaren die Billigung des Kammerherrn besaß. »Wir, die Polizei, haben die Stadtbewohner fest im Griff. Aber ich bezweifle, daß Ihr auf der Suche nach dem bundori- Mörder ebenso erfolgreich seid.«
Sano erkannte, daß es keinen Zweck hatte, Hayashi um Hilfe zu bitten, zumal er offensichtlich die Rückendeckung Kammerherr Yanagisawas besaß. Sano wechselte das Thema.
»Heute abend hat ein Mann versucht, mich zu ermorden«, sagte er und drängte den Zorn zurück, den seine alte Feindschaft mit Hayashi in ihm aufsteigen ließ. Damals, als Sano selbst noch yoriki gewesen war, hatte dieser Mann alles getan, ihm Steine in den Weg zu legen. Sano beschrieb den Überfall und den Schwertkampf und schilderte Hayashi, wie er den Gegner in Notwehr getötet hatte. »Das hier trug der Mann am Körper«, endete Sano und reichte Hayashi den Beutel des Toten. »Ich glaube, er war ein gedungener Meuchler, der verhindern sollte, daß ich die Nachforschungen in den Mordfällen weiterführe.«
Mit seinen schlanken Fingern zählte Hayashi beinahe liebevoll die Goldmünzen, doch seine Stimme war schneidend, als er erwiderte: » Muimi – Unsinn! Was beweist es schon, daß der Mann das Geld bei sich hatte? Überdies habt Ihr gesagt, daß niemand den Angriff beobachtet hat. Weshalb sollte ich da glauben, daß dieser angebliche Mordversuch nicht bloß eine ganz normale Straßenschlägerei gewesen ist, aus der sich ein Schwertkampf entwickelt hat?«
Sano nahm den Beutel wieder an sich und zog das Stück Papier heraus, das Hayashi übersehen hatte. »Deshalb«, sagte er, faltete den Zettel auseinander und reichte ihn dem yoriki .
Der Zettel war aus einem größeren Blatt herausgerissen und mit Tusche beschriftet. Auf einer Seite standen der Name ›Junnosuke‹ sowie ein Datum, auf der anderen Seite die unzusammenhängenden Worte:
Vorsicht übliche Methode
überragende Fähigkeiten in der kenjutsu- Kampftechnik
so schnell wie möglich übliche Bedingungen
»Der Angreifer hat meinen Namen gerufen«, erklärte Sano. »Überdies trägt dieser Zettel das Datum jenes Tages, als ich die Nachforschungen aufgenommen habe. Ich kann nicht behaupten, daß ich ein überragender Schwertkämpfer bin, aber jeder, der mich angreift, sollte in der Tat vorsichtig
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