Die Rache des Samurai
mit vor Staunen offenen Mündern den Kampf verfolgten. Einer der Wächter hatte Sanos Pferd eingefangen und hielt es am Zügel; offenbar hatte das Tier auf seiner wilden Flucht versucht, durch das Tor hindurchzupreschen. Obwohl Sano vollkommen auf den Kampf konzentriert war, drangen Gesprächsfetzen an seine Ohren:
»Was geschieht hier? Warum kämpfen die beiden?«
»Ist er der bundori- Mörder ? «
»Aber es sind Männer aus Fleisch und Blut, keine Geister. Der eine trägt sogar das Wappen des Shōgun.«
»Es ist bloß ein Duell.«
Obwohl die meisten Zuschauer ihr Leben, ihre Familien und ihr Eigentum um jeden Preis verteidigt hätten, machte keiner von ihnen Anstalten, Sano zu helfen. Sie wußten, daß man sich lieber nicht einmischte, wenn zwei Samurai kämpften. Schon ein einziger verirrter Schlag konnte für jeden, der den Kontrahenten zu nahe kam, tödliche Folgen haben.
Sano erkannte jetzt, daß sein Täuschungsmanöver erfolgreich war. Er spürte, wie sein Gegner immer siegessicherer wurde – und damit leichtsinniger. Und dann kam die Chance, auf die Sano gewartet hatte.
Er führte einen schwachen Schlag gegen seinen Widersacher, den dieser lässig parierte. Sano ließ sich auf das linke Knie fallen und tat so, als hätte der Abwehrhieb ihn zu Boden geworfen.
Der Angreifer packte sein Schwert mit beiden Händen, hob es hoch über den Kopf und rückte vor. Ein Grinsen legte sich auf sein verzerrtes Gesicht, als er zum letzten und alles entscheidenden Schlag ausholte.
Sano bewegte sich mit der ganzen Kraft und Schnelligkeit, die er sich aufgespart hatte. Bevor die todbringende Klinge des Gegners ihn erreichte, flirrte Sanos Schwert in einem horizontalen Bogen durch die Luft.
Der Mann schrie vor Todesqual, als die Klinge ihm tief durch den Leib schnitt. Er ließ sein Schwert fallen, stürzte auf die Knie und preßte die Hände in Höhe des Magens auf seinen Kimono. Blut und Gedärme quollen zwischen seinen Fingern hervor. Mühsam hob er den Kopf und starrte schmerzerfüllt, schockiert und fassungslos auf seinen Bezwinger.
Sano erhob sich und trat ein paar Schritte zurück. Er sah, wie das Leben in den Augen des Mannes erlosch, wie sein verzerrtes Antlitz starr wurde. Der Angreifer öffnete den Mund, als wollte er einen weiteren Schrei ausstoßen. Doch ein Blutschwall schoß zwischen seinen Lippen hervor; dann kippte er zur Seite und blieb regungslos liegen, die Hände noch immer auf die tödliche Wunde gepreßt.
Sano wischte sein Schwert an seinem verschmutzten, aufgeschlitzten Kimono ab und schob es in die Scheide. Die berauschende Hitze des Kampfes brodelte noch in seinem Inneren, als er auf seinen besiegten Gegner hinunterblickte, während die schweigende Menge ihn wartend anstarrte. Sanos rasender Pulsschlag beruhigte sich allmählich, und er kam wieder zu Atem. Die kühle Abendluft trocknete den Schweiß auf seinem Gesicht, als er versuchte, eine Erklärung für den Vorfall zu finden.
Nach wie vor war Sano davon überzeugt, daß der Schlüssel zu den Morden an den beiden Samurai in ihrer Verbindung mit Araki Yojiemon und Endō Munetsugu zu finden war; deshalb glaubte er nicht, daß er soeben den bundori- Mörder getötet hatte. Aufgrund seiner eigenen Abstammung schied Sano als Opfer aus; er besaß keine verwandtschaftlichen Bindungen zu Araki oder Endō. Und wie hätte der Angreifer den abgetrennten Kopf seines Opfers fortschaffen sollen? Der Mann trug keinen Umhang und hatte kein Behältnis bei sich, in dem er seine Trophäe vor den umherschlendernden Menschenmengen und den Torwächtern verbergen konnte. Sano wünschte sich, er hätte das Leben dieses Mannes schonen können, um seinen Namen und den Grund für den Überfall zu erfahren.
Sano kniete neben dem Leichnam nieder und schob den Strohhut zur Seite, der dem Mann übers Gesicht gerutscht war. Im Licht der Fackeln und Laternen der Umstehenden blickte Sano in ein kleines, scharf gezeichnetes Gesicht; es war das junge, fuchsähnliche Antlitz eines völlig Fremden. Widerwillig suchte Sano in den Taschen der blutdurchtränkten Kleidung des Toten, um irgendeinen Hinweis auf dessen Identität zu finden. Seine tastenden Finger berührten einen harten Gegenstand, der zwischen dem Unterkimono und der Schärpe des Mannes steckte. Sano brachte einen Beutel aus Stoff zum Vorschein, dessen Inhalt klingelte, als er die Schnüre löste. Zehn Gold -koban und ein zusammengefalteter Zettel fielen in Sanos Handfläche, als er den Beutel
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