Die Rache des Samurai
sein. Und die ›üblichen Bedingungen‹?« Sano wies auf die Goldmünzen, die jetzt in Hayashis Handfläche lagen. »Ein Teil der Bezahlung bei Annahme des Auftrags, der Rest nach Erledigung – nach meinem Tod.«
»Warum sollte ein gedungener Mörder ein Papier mit sich tragen, das ihn bloßstellt? Ein Schreiben, in dem ihm ein Mordauftrag erteilt wird?« fragte Hayashi skeptisch. »Falls ein solches Schreiben überhaupt existiert – was ich angesichts dieses Fetzens bezweifle.«
»Er hat die belastenden Stellen abgerissen und den Rest des Zettels benützt, um getrocknete Melonensamen darin einzuwickeln.«
Als Sano die Samen erwähnte, wurde Hayashis verächtliches Lächeln schief, und seine Wangenmuskeln zuckten.
»Ihr kennt diesen Mann«, stieß Sano sofort nach. »Wer ist er?«
Doch Hayashi hatte sich bereits wieder unter Kontrolle. » Okashii! Wahrscheinlich habt Ihr diesen Kerl irgendwann einmal beleidigt.«
Sano hatte diese Möglichkeit selbst schon erwogen. Er wußte, daß viele Kollegen ihm seine Beförderung neideten. Und Kammerherr Yanagisawa mochte ihn nicht. Aber diese vergleichsweise geringfügigen Feindseligkeiten waren schwerlich ein Grund für einen Meuchelmord. Überdies sprach der Zeitpunkt des Überfalls dafür, daß er auf irgendeine Weise mit den bundori- Morden zu tun hatte, und nicht mit irgendeinem persönlichen Groll, den der Angreifer gegen Sano gehegt hatte.
»Ich möchte, daß die Polizei herausfindet, wer der Angreifer war, und wer ihn bezahlt hat«, sagte er. »Ich glaube, der Auftraggeber war der bundori- Mörder. Er betrachtet mich als Bedrohung, möchte mich aber nicht eigenhändig töten, möglicherweise meines Ranges wegen oder wegen meiner Fähigkeiten als Schwertkämpfer. Oder einfach nur deshalb, weil er bereits auf der Jagd nach weiteren Opfern ist. Wenn Ihr, Hayashi, diesen Mordversuch als eigenständigen Fall untersucht – getrennt von den Nachforschungen über den bundori -Mörder –, verstoßt Ihr nicht gegen die Befehle des Kammerherrn Yanagisawa.«
»Das könnte ich nicht rechtfertigen. Ihr habt die polizeilichen Kräfte für Eure eigenen Untersuchungen bereits über Gebühr in Anspruch genommen. Wie könnte ich es dem Kammerherrn gegenüber vertreten, daß er Männer bereitstellen soll, Nachforschungen über einen gewöhnlichen Schläger anzustellen, der bereits tot ist?« Hayashis Häme kehrte wieder. »Ihr habt nicht die leiseste Ahnung, wer der bundori -Mörder ist. Weshalb sollte er Euch als Bedrohung betrachten? Und denkt daran: Ich habe keine Befehle erhalten, Euch zu helfen – auf welche Weise auch immer.«
Hayashi steckte die Münzen und den Zettel wieder in den Beutel und reichte ihn Sano zurück. »Und jetzt entschuldigt mich«, sagte er, »ich muß mich noch um sehr viele andere Verbrecher kümmern. Es wären viel weniger, hättet Ihr inzwischen den bundori -Mörder gefaßt.«
Er öffnete die Tür der Zelle und sagte zu den Wachen: »Holt einen Schreiber. Er soll die Aussagen des sōsakan-sama aufnehmen.« Dann wandte er sich noch einmal an Sano. »Anschließend könnt Ihr gehen. Aber solltet Ihr Euch weiterhin auf Straßenschlägereien einlassen, wird Euch nicht einmal Euer hohes Amt vor dem Gesetz schützen. Ein so unziemliches Verhalten duldet Seine Hoheit nicht.«
Sano setzte sich, um auf den Schreiber zu warten. Seine Miene war düster. Die Drohung, sich den Unwillen des Shōgun zuzuziehen, erschwerte seine Probleme zusätzlich. Doch einige Dinge standen für Sano fest, auch wenn ihm noch eindeutige Beweise fehlten.
Sein Angreifer war kein gewöhnlicher Straßenschläger aus Edo gewesen und auch kein eifersüchtiger Rivale. Nein – irgend jemand wollte seine Nachforschungen über die bundori- Morde verhindern. Wenn er Ermittlungen über die Person des Angreifers anstellte, führte ihn dies vielleicht zum Mörder. Nun war es doch so weit gekommen, daß er durch seine Nachforschungen sein eigenes Leben aufs Spiel setzte.
12
E
s ging auf Mitternacht zu, als Sano die Polizeizentrale verlassen konnte – viel zu spät für ihn, um sich noch mit Aoi zu treffen. Als er im Palast eintraf, schickte er einen Boten mit einem kurzen Entschuldigungsschreiben zum Tempel. Doch es war noch nicht zu spät, um die historischen Archive des Palasts von Edo aufzusuchen. Noguchi, der oberste Archivar, war ein besessener Gelehrter, der seine Studien oft bis tief in die Nacht hinein betrieb. So manches Mal hatten Sano und die anderen Schreiber die Zeit bis
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