Die Rache des Samurai
finden, dies zu bewerkstelligen, ohne daß Ihr oder der Shōgun das Gesicht dabei verliert. Und Kammerherr Yanagisawa wird Euch helfen – vielleicht sogar belohnen –, daß Ihr ihm nachgegeben habt. Und dann überlaßt Ihr der Polizei die Arbeit. Dort hat man Leute genug. Und das erforderliche Fachwissen. Und vor allem Yanagisawas Zustimmung.«
Noguchi bedeutete Sano, sich ihm gegenüber zu setzen. »Kommt. Rettet Euer Leben und Eure Karriere, bevor es zu spät ist.«
Sano blieb stehen.
Schließlich sagte Noguchi zaghaft: »Habt Ihr die möglichen Folgen Eures Handelns bedacht, Sano -san? Solange Ihr, ein einzelner Mann, Euch mit den Nachforschungen abplagt, kann der bundori -Mörder praktisch ungehindert zuschlagen. Was meint Ihr, wie viele Menschenleben gerettet werden könnten, wenn Ihr einlenkt und der Polizei den Fall überlaßt?«
Die letzte Bemerkung traf ins Schwarze. Sano verbarg seine Betroffenheit, indem er Noguchi den Rücken zukehrte. Wenn er Gefahren für sich selbst auf sich nahm, war das seine eigene Entscheidung; aber durfte er unschuldige Menschen seinen Zielen und Grundsätzen opfern? Als er sein neues Amt antrat, hatte er nur daran gedacht, was er Gutes bewirken konnte. Er hatte gehofft, sein neuer Status als oberster Ermittler des Shōgun würde es ihm ermöglichen, genau solche Situationen zu vermeiden wie die, in der er sich nun befand: daß seinetwegen vielleicht andere Menschen sterben mußten. Der Alptraum der Ermittlungen in seinem ersten Mordfall begann von neuem. Langsam drehte Sano sich um und schaute Noguchi an.
»Ah, jetzt begreift Ihr.« Noguchis Lächeln ließ erkennen, daß er mit Sanos Kapitulation rechnete.
»Nein«, sagte Sano, obwohl er eigentlich ›ja‹ hatte sagen wollen. Doch jener wißbegierige Teil seines Wesens, der ihn stets dazu drängte, die Wahrheit zu ergründen und den er nie hatte beherrschen können, hatte ihm das ›nein‹ förmlich in den Mund gelegt. »Ich muß herausfinden, wer der bundori -Mörder ist und weshalb er tötet, und ihn vor Gericht bringen.«
Mit einem Gefühl der Ungläubigkeit spürte Sano, wie sich in seinem Inneren eine gewohnte Empfindung bemerkbar machte: Die gegenseitige Verstärkung praktischen, vernunftbestimmten Denkens und persönlichen, gefühlsmäßigen Begehrens. Wie hätte er vorhersehen können, daß er in einen solchen Zwiespalt geriet, indem er nichts weiter wollte, als die Befehle seines obersten Herrn zu befolgen? Und wie hätte er voraussehen können, daß jemand verhindern wollte, daß er einen Massenmörder faßte, der die Stadt in Furcht und Schrecken versetzte?
Obwohl Sano ahnte, daß es vergeblich war, wandte er sich ein letztes Mal bittend an Noguchi: »Werdet Ihr mir helfen?«
Noguchi schaute zur Seite. Sano erkannte, daß der sanftmütige, freundliche Archivar seinem Freund und Kollegen gern behilflich gewesen wäre, jedoch Angst vor einer Bestrafung durch Yanagisawa hatte. Sano schwieg. Er hoffte noch immer, daß Noguchis Liebe zu historischen Forschungen ihn umstimmte.
Und Sanos Geduld zahlte sich aus. Ächzend und schwerfällig erhob sich Noguchi. »Also gut. Kommt mit. Aber tut mir bitte den Gefallen und erzählt niemandem, daß ich Euch geholfen habe.«
Noguchi nahm eine Lampe und führte Sano durch die Hintertür einen überdachten Gehweg entlang durch einen Garten, in dem es nach blühendem Jasmin duftete, bis sie zu einem großen, fensterlosen Lagerhaus gelangten. Die dicken, irdenen, weiß getünchten Mauern des Gebäudes und das feste, mit schweren Ziegeln gedeckte Dach schützten kostbare Originaldokumente vor Feuersbrünsten. Sano half Noguchi, die massive, eisenbeschlagene Tür zu öffnen.
Aus dem dunklen Inneren des Lagerhauses schlug Sano ein muffiger, metallener Geruch entgegen. Als die Männer eintraten, waren im flackernden Licht von Noguchis Lampe Hunderte eiserner Kisten zu sehen, die mit aufgemalten Schriftzeichen versehen waren und aufgestapelt an den Wänden standen. Soweit Sano erkennen konnte, waren die Kisten nicht nach irgendwelchen Ordnungsprinzipien gelagert. Die Kiste mit der Aufschrift ›Shimabara-Rebellion‹ – ein Bauernaufstand, der vor etwa fünfzig Jahren stattgefunden hatte – stand zwischen der Kiste über das ›Ashikaga-Regime‹ vor ungefähr zweihundert Jahren und der Kiste ›Nobuo‹, der Name eines Dichters, der erst im vergangenen Monat gestorben war. Sano, der das System der Archivierung nie begriffen hatte, war froh, daß Noguchi ihm zur Seite
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