Die Rache des Samurai
sondern der Shōgun die Versammlung eröffnet hatte. Während der Kammerherr Sano aufmerksam zuhörte, rauchte er seine Pfeife. Seiner Miene war nichts zu entnehmen. Die Mitglieder des Ältesten Staatsrates folgten Yanagisawas Beispiel.
Der Shōgun beugte sich vor; in seinen Augen lag ein freudiges Funkeln, als würde er sich eine seiner geliebten Theateraufführungen anschauen. Bei jeder neuen Information Sanos spiegelte sich Erstaunen auf seinem Gesicht, und gespannte Erregung, als Sano von dem Mordanschlag berichtete, der auf ihn verübt worden war, und schließlich Zufriedenheit, als Sano seine Theorie über die Morde erläuterte und seine Absicht kundtat, die Nachkommen General Fujiwaras zu verhören, falls es ihm nicht gelang, den Mörder in jenem Haus in den Sümpfen zu fassen, in dem er sich nach Aois Prophezeiung am heutigen Abend aufhielt. Erleichterung und zögerliches Hochgefühl überkamen Sano, als er seinen Bericht beendete, den Atem anhielt und gespannt darauf wartete, wie der Shōgun reagierte.
»Ah, ausgezeichnet!« rief Tokugawa Tsunayoshi. »Ihr habt Eure Sache gut gemacht, sōsakan Sano.«
Er klatschte in die Hände und spendete Sano Applaus. Nach einem Augenblick des Zögerns fielen die anderen Versammelten in den Beifall ein. Selbst auf den ernsten Gesichtern der fünf Ältesten waren winzige Zeichen der Anerkennung zu sehen – hier ein kaum merkliches Lächeln, dort eine hochgezogene Augenbraue. Yanagisawas Züge jedoch waren wie aus Stein gemeißelt; in sein Gesicht kam nur Bewegung, als er die Pfeife aus dem Mund nahm. Doch Sano, dem beinahe schwindlig vor Erleichterung war, kümmerte dies nicht. Der Shōgun hatte ihn vor Yanagisawas Ränken und Hinterhältigkeiten gerettet. Jetzt, so glaubte Sano, konnte er unter dem Schutz und Schirm seines höchsten Herrn die Nachforschungen mit größeren Erfolgsaussichten weiterführen.
» Sōsakan Sano hat sich Euer Lob in der Tat verdient, Hoheit«, sagte Kammerherr Yanagisawa in freundlichem Tonfall. Seine steinerne Miene war verschwunden; jetzt lag ein Ausdruck erfreuter Verwunderung auf seinem Gesicht. Sano atmete noch tiefer auf: Die Anerkennung des Shōgun bedeutete, daß Yanagisawa jeden Groll begraben mußte, den er gegen den jungen sōsakan hegen mochte.
Dann sagte der Kammerherr mit einem leichten Achselzucken: »Im Grunde spielt es keine Rolle, daß der Verdächtige bis jetzt nicht entdeckt wurde. Obwohl es wirklich nicht allzu schwierig sein sollte, einen pockennarbigen, hinkenden, hochgewachsenen Samurai zu finden … Ebensowenig sollten wir sōsakan Sano dafür tadeln, daß es ihm nicht gelungen ist, einen weiteren Mord zu verhindern und die Unruhe in der Stadt unter Kontrolle zu bringen, die durch die Morde hervorgerufen wurde.«
»Äh, ja … wir sollten ihn nicht dafür tadeln …« Die Begeisterung des Shōgun ließ sichtlich nach; Zweifel kerbten seine Mundwinkel. »Schließlich ist seit dem ersten Mord nicht viel Zeit vergangen, nicht wahr?«
Seidenroben raschelten, als die fünf Ältesten unbehaglich ihr Körpergewicht verlagerten, die Pfeifen aus den Mündern nahmen und vor sich hin legten. Die Atmosphäre im Saal hatte sich schlagartig verändert. Bewegung kam in die Versammelten. Ein stählernes Band der Furcht legte sich um Sanos Hals, als eine düstere Ahnung in ihm aufstieg, was Yanagisawas Absichten betraf.
»Nur zwei Tage sind vergangen, Hoheit.« So wie der Kammerherr es sagte, hörte es sich an wie: »Nur zwei Jahre.«
Im Nō-Theater hatte Sano beobachtet, wie Yanagisawa den Shōgun durch sein Wissen beeindruckt hatte: Wissen bedeutete Macht. Und bei ihrer Privataudienz hatte Sano erlebt, wie der Kammerherr das Verhalten Tokugawa Tsunayoshis beeinflußte, indem er die sexuellen Vorlieben des Shōgun erweckt hatte, als er den hübschen Knaben ins Zimmer führen ließ. Jetzt erkannte Sano, daß Yanagisawa ein weiteres Mittel besaß, die Macht des Shōgun auszuhöhlen: Tokugawa Tsunayoshi war von Natur aus ein Mensch, der sich gern leiten ließ und der das Lob und die Anerkennung anderer brauchte. Yanagisawa – der jene brutale Rücksichtslosigkeit besaß, die seinem Herrn fehlte – verstärkte das mangelnde Selbstvertrauen des Shōgun, indem er dessen Wunsch nach Anerkennung geschickt ausnützte.
»Überdies sollten wir der Tatsache, daß sōsakan Sano nicht den geringsten Beweis für seine Mordtheorie vorgebracht hat, keine allzu große Bedeutung beimessen«, fuhr Yanagisawa fort. »Wenngleich … ohne einen
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