Die Rache des schönen Geschlechts
er noch am Apparat war. Er legte auf.
Im Lauf des Vormittags erschienen seine Leute nacheinander geknickt und mit leeren Händen im Kommissariat: Sie hatten den vorbestraften Fonzio Arico, Gerlando Piccolos Geldeintreiber, nicht ausfindig gemacht. Die Nachbarn hatten ihn seit einer Woche nicht gesehen, sie sagten, es komme oft vor, dass er tagelang ausbleibe. Und da die Kollegen, als sie von der erfolglosen Suche berichteten, einen heftigen Wutausbruch erwarteten, konnten sie es gar nicht glauben, als der Commissario gelassen und höflich antwortete: »Ist gut, danke.«
Sie waren derart verblüfft, dass einer den anderen fragte, ob bei ihrem Chef vielleicht sogar Wundmale erschienen seien.
Noch am Vormittag führte Montalbano zwei Telefongespräche, das erste mit Staatsanwalt Tommaseo, das ziemlich lange dauerte, weil der so viel erklärt haben wollte. Doch am Ende war er überzeugt. Der zweite Anruf galt dem Chef der Mordkommission, der überhaupt keine Erklärung verlangte. Er sagte, es gebe nur ein Problem. Wie lange Montalbano die Einrichtung benötige? Der Commissario antwortete, dass die Angelegenheit binnen achtundvierzig Stunden erledigt sein werde. Sie einigten sich.
Um vier Uhr nachmittags brachte ihm ein Mitarbeiter der Mordkommission Gerlando Piccolos Hausschlüssel. Eine halbe Stunde später rief Montalbano Galluzzo zu sich, gab ihm den Schlüssel und teilte ihm mit, Grazia könne, wenn sie wolle, nach Hause zurück. »Nein, warte, ruf sie von hier aus an.«
Als er wieder auflegte, berichtete Galluzzo, das Mädchen wolle jetzt gleich zurück, solange es noch hell sei, sie fürchte sich zwar nicht, aber es sei ihr angenehmer. »Wenn Sie nichts dagegen haben, fahre ich sie hin. In spätestens einer Stunde bin ich wieder da.«
»Du brauchst nicht ins Kommissariat zurückzukommen. Hilf Grazia, sich ein bisschen einzurichten, und fahr dann direkt nach Hause. Du kannst mich ja kurz anrufen und erzählen, wie sie reagiert hat, ob es Probleme gegeben hat. Ach ja, sag ihr auch, dass sie jederzeit hier anrufen kann, wenn ihr irgendwas Angst macht.«
Galluzzo lächelte.
»Commissario, die hat vor gar nichts Angst. Sie ist unglaublich mutig. Wovor sollte sie denn Angst haben?«
»Vor Fonzio Arico zum Beispiel. Wir haben ihn nirgends gefunden, aber möglicherweise passt er nur den richtigen Zeitpunkt ab, um wieder aufzutauchen.«
Galluzzos Lächeln verschwand. »Was kann Fonzio denn von Grazia wollen?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht die Unterlagen von Gerlando Piccolo. Aus denen kannst du was rausholen, wenn du sie richtig verwendest.«
»Stimmt. Soll ich heute Nacht bei ihr bleiben?«
»Woher willst du wissen, ob Fonzio ausgerechnet heute Nacht kommt? Ach ja, sag Grazia doch, dass ich mir morgen die richterliche Genehmigung hole, um alle Unterlagen zu beschlagnahmen, dann kann sie ganz unbesorgt sein. Nein, tu, was ich dir gesagt habe.«
Galluzzo rief um halb acht an. Er war gerade von Grazia, die froh war, wieder in ihren eigenen vier Wänden zu sein, nach Hause zurückgekehrt. Der andere Anruf, den Montalbano erwartete, weil er bestätigen würde, dass sein Gebäude von Vermutungen nicht aus Seidenpapier, sondern aus Kalk und Stein war, kam eine knappe Stunde später. »Commissario Montalbano? Sie hat telefoniert. Als sich eine Männerstimme meldete, sagte sie, sie sei endlich wieder da und das Haus werde nicht überwacht. Sie fügte hinzu, sie habe zwei Dinge für ihn. Der Mann antwortete, er werde kurz nach Mitternacht zu ihr kommen. Was sollen wir jetzt machen?«
»Das wäre alles, danke.«
Er hätte sich anders fühlen müssen nach dieser Bestätigung, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte, aber ihn überkam eine Art Übelkeit, die seinen Magen zuschnürte. »Fazio! Gallo!«
»Jawohl!«
»Geht nach Hause zum Essen und kommt dann wieder her. Sagt Bescheid, dass ihr heute Nacht zu tun habt.«
Die beiden wechselten einen überraschten Blick und sahen dann fragend den Commissario an.
»Ich erzähle euch alles, wenn ihr wieder da seid, das hat keine Eile. Aber ich warne euch - zu niemandem ein Wort!«
»Was sollen wir schon sagen, wenn wir nicht wissen, worum es geht?«, meinte Fazio.
Montalbano verließ ebenfalls das Kommissariat, er hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Vor der Trattoria San Calogero zögerte er kurz, sollte er hineingehen oder nicht? Aber ihm wurde immer schlechter. Also ging er an den Hafen und beobachtete die Touristen, die die Fähre zu den Inseln
Weitere Kostenlose Bücher