Die Rache des schönen Geschlechts
wollte Sie bitten, nicht mehr an die Geschichte zu denken. Es stand mir nicht zu, Ihnen als Polizisten ein Ereignis zur Kenntnis zu bringen, das vor so vielen Jahren geschehen ist.«
»Um genau zu sein: in den ersten sechs Monaten des Jahres 1950?«
Padre Barbera zuckte überrascht zusammen. Montalbano wusste, dass er ins Schwarze getroffen hatte.
»Hat Ihnen das die selige Signora gesagt?«
»Nein.«
»Wieso wissen Sie dann von diesem Datum?«
»Ich bin Polizist. Weiter jetzt.«
»Nun, ich glaube nicht, dass ich - dass wir das Recht haben, eine Geschichte ans Licht zu zerren, die im Lauf der Zeit einen Schlusspunkt gefunden hat und in Vergessenheit geraten ist. Sie würde alte Wunden aufreißen, vielleicht neuerlichen Groll wecken.«
»Stopp«, sagte Montalbano. »Sie können leicht reden von Wunden und Groll, weil Sie mehr wissen als ich. Doch ich habe keine Ahnung und bin nicht in der Lage, irgendwas zu beurteilen.«
»So übernehme ich die Verantwortung und bitte Sie, diese Geschichte zu vergessen.«
»Das könnte ich, aber unter einer Bedingung.«
»Nämlich?«
»Das erkläre ich Ihnen gleich. Aber vorher habe ich noch etliches anzumerken. Also, in den ersten Monaten des Jahres 1950 bittet eine gewisse Cristina Signora Maria Carmela, Frau eines Apothekers oder frisch verwitwet, um Gift. Aus persönlichen Gründen, die man kaum jemals wird erfahren können, oder weil sie argwöhnt, dass Cristina mit diesem Gift jemanden töten will, steckt Signora Maria Carmela ihr ein harmloses Pulver zu, das sie als Gift ausgibt. Sie bescheißt sie, mit Verlaub, Hochwürden. Cristina verabreicht das Gift der Person, die sie töten will, und diese bleibt am Leben, sie kriegt höchstens ein bisschen Bauchweh.«
Padre Barbera hatte den Oberkörper vorgebeugt und lauschte dem Commissario: Er wirkte wie ein aufs Äußerste gespannter Bogen.
»Wenn dem so war, hatte Signora Maria Carmela nicht viel zu bereuen. Es war kein Gift, also was soll's. Aber wenn Signora Maria Carmela sich so tief darüber grämt, dass dieses Gefühl sie bis zum Tod nicht loslässt, dann muss die Sache anders gelaufen sein, als Maria Carmela gehofft hatte. Klingt das vernünftig?«
»Klingt vernünftig«, sagte Padre Barbera, den Blick auf die Augen des Commissario geheftet.
»Und da liegt der Hund begraben. Das heißt nämlich, dass Cristina zwar kein Gift bekommen hat, der Mord aber trotzdem passiert ist.«
Nicht Schweiß, sondern Wasser rann von Padre Barberas Stirn herunter.
»Und noch etwas: Die Person, ob Mann oder Frau, weiß ich nicht, wurde nicht erschossen oder erstochen, sondern vergiftet.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Das hat mir die arme Tote gesagt, die Angst, die die Frau ihr Leben lang mit sich herumgeschleppt hat. Denn als der Mord geschehen war, muss sie den Verdacht geschöpft haben, dass sie sich geirrt hat, dass sie Cristina versehentlich doch richtiges Gift gegeben hat und nicht das Pülverchen, das sie vorbereitet hatte.«
Der Pfarrer sagte nichts, rührte sich nicht. »Ich will Ihnen sagen, was ich vorhabe. Wenn der Mörder für seine Tat bezahlt hat, interessiert mich die Geschichte nicht mehr. Aber wenn es noch etwas Unklares, Ungelöstes gibt, mache ich weiter.«
»Nach über fünfzig Jahren?«
»Wissen Sie was, Padre Barbera? Manchmal frage ich mich, welche Beweise Gott hatte, als er Kain des Mordes an Abel bezichtigte. Glauben Sie mir, wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich den Fall wieder aufrollen.«
Padre Barbera war dermaßen erstaunt, dass ihm der Unterkiefer herunterklappte. Resigniert breitete er die Arme aus.
»Wenn das so ist.«
Er ging an die Tür, doch bevor er das Haus verließ, sagte er noch:
»Michele Spagnolo ist angekommen. Er ist im Hotel Pirandello abgestiegen.«
Er kam zu spät zu der Sitzung mit Polizeipräsident Bonetti-Alderighi. Der beäugte ihn nur ungnädig und wartete, schweigend, damit das unmanierliche Benehmen auch so richtig zur Geltung kam, bis der Commissario sich gesetzt und die Kollegenrunde um Entschuldigung gebeten hatte, und sprach dann weiter über das Thema: »Was kann die Polizei tun, um das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen?«
Einer schlug vor, ein Preisausschreiben zu veranstalten, ein Zweiter sagte, man solle am besten ein Tanzfest mit tollen Gewinnen und Kotillon ausrichten, ein Dritter meinte, man könne doch die Presse zur Mitarbeit motivieren. »Inwiefern?«, fragte Bonetti-Alderighi. »Sie könnte es ignorieren, wenn wir einen Fehler machen
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