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Die Rache des schönen Geschlechts

Titel: Die Rache des schönen Geschlechts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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oder es uns nicht gelingt.«
    »Verstehe, verstehe«, fiel ihm der Questore hastig ins Wort. »Noch irgendwelche anderen Vorschläge?«
    Zeige- und Mittelfinger von Montalbanos Rechter streckten sich von ganz allein in die Luft, ohne dass sein Gehirn einen Befehl erteilt hätte. Der Commissario sah die beiden erhobenen Finger leicht erstaunt an. Der Questore seufzte.
    »Bitte, Montalbano.«
    »Und wenn die Polizei immer und überall ihre Pflicht tun würde, ohne zu provozieren oder ihre Macht zu missbrauchen?«
    Die Sitzung wurde in Gletscherkälte aufgehoben. Auf dem Rückweg nach Vigata kam er zwangsläufig am Hotel Pirandello vorbei. Er rechnete nicht damit, Michele Spagnolo anzutreffen, aber versuchen konnte er es ja mal. »Ja, Commissario, er ist auf seinem Zimmer. Soll ich Sie mit ihm verbinden?«
    »Hallo? Hier ist Commissario Montalbano.«
    »Commissario? Was denn für einer?«
    »Von der Polizei.«
    »Und was wollen Sie von mir?«
    Ingegnere Spagnolo schien sich wirklich zu wundern. »Mit Ihnen reden.« »Worüber denn?«
    »Über Ihre Tante.«
    Dem Ingegnere kam die Stimme aus der Kehle wie einem strangulierten Huhn. »Meine Tante?«
    »Ingegnere, ich bin hier, in Ihrem Hotel. Wenn Sie so nett wären und herunterkämen, könnten wir uns besser unterhalten.«
    »Ich bin gleich da.«
    Der Ingegnere war Anfang sechzig und ziemlich klein, sein Gesicht terrakottafarben von der Wüstensonne, die ihm bei seiner Suche nach Öl die Haut verbrannt hatte. Er war ein Nervenbündel und bewegte sich ruckartig. Er setzte sich hin, stand auf, setzte sich hin, als Montalbano Platz genommen hatte, schlug die Beine übereinander, stellte sie wieder nebeneinander, richtete sich den Krawattenknoten, wischte sich mit den Fingern über das Sakko.
    »Ich verstehe nicht, was die Polizei.«
    »Kein Grund zur Aufregung, Ingegnere.«
    »Ich bin nicht aufgeregt.«
    Wie benahm der sich wohl, wenn er erst nervös war! »Kurz bevor Ihre Tante starb, hat sie mir eine Geschichte anvertraut, die ich nicht so richtig verstanden habe, irgendwas mit Gift, das kein Gift war.«
    »Gift? Meine Tante?«
    Aufstehen, hinsetzen, Beine übereinander, Beine nebeneinander, Krawatte, Sakko wischen. Diesmal nahm er außerdem die Brille ab, hauchte die Gläser an, setzte die Brille wieder auf.
    Wenn der so weitermacht, drehe ich in zehn Minuten durch, dachte der Commissario. Ich muss das schnell über die Bühne bringen. »Was wissen Sie von Ihrer Tante?« »Sie war eine Heilige. Wie eine Mutter war sie für mich.«
    »Warum ist sie vor fünf Jahren nach Vigata gezogen?«
    Aufstehen, hinsetzen, Beine übereinander, Beine nebeneinander, Krawatte, wischen, Brille ab, hauchen, Brille auf. Außerdem: Nase putzen.
    »Weil ich geheiratet habe, als ich pensioniert wurde. Und meine Tante hat sich mit meiner Frau nicht verstanden.«
    »Wissen Sie denn, was bei Ihrer Tante in der ersten Hälfte des Jahres 1950 los war?«
    »Keine Ahnung. Um Himmels willen, was ist denn das für eine Geschichte?«
    Aufstehen, hinsetzen, Beine übereinander, Beine nebeneinander. Aber da war der Commissario schon nicht mehr im Hotel.
Kapitel 3
    Auf dem Weg nach Vigata fiel ihm ein, was er im Aufsatz eines Shakespeare-Forschers über Hamlet gelesen hatte. Da hieß es, der Geist des seligen Vaters - des Königs, den der Bruder mit stillschweigender Duldung von Gertrude, der Geliebten des Mörders und Schwagers, ermordet hat habe seinen Sohn Hamlet mit dem Befehl, ihn zu rächen und den Onkel zu töten, die Mutter aber zu verschonen, vor eine Aufgabe aus dem melodramatischen, nicht aus dem tragischen Fach gestellt. Schließlich wisse alle Welt, dass ein Vater- oder ein Muttermord tragische Angelegenheiten seien, doch ein Onkelmord sei höchstens Thema eines schlechten Melodrams oder einer bürgerlichen Komödie, die leicht zur Posse werde. Bei der Erledigung des Auftrags veranstalte der junge Dänenprinz einen solchen Wirbel, ein solches Theater, dass er sich selbst zur Figur einer Tragödie zu befördern vermöge. Und was für einer Tragödie!
    Nun hatte er sich also gebührend mit Hamlet verglichen, Signora Maria Carmela Spagnolo hatte noch nicht als Geist zu ihm gesprochen, obwohl da nicht viel fehlte, die arme Frau hatte ihm nicht explizit irgendeinen Auftrag erteilt, einen solchen wollte ihm höchstens Padre Barbera erteilen, und den konnte man leicht streichen, weil in Shakespeares Tragödie ein Priester nur sehr am Rande vorkommt - aus welchem Grund also sollte er mit seinen

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