Die Rache des schönen Geschlechts
Mittagessen kommen? Dann hätte ich das endlich hinter mir.«
Er nahm die Einladung an, aber aus irgendeinem Grund war er unruhig. Sein Jagdinstinkt war erwacht, er warnte ihn vor einer drohenden Gefahr, vor einer laubbedeckten Falle, in die er stolpern konnte, wenn er nicht aufpasste. Quatsch, sagte er sich. Welche Gefahr konnte schon hinter einer Einladung von Signora Clementina zum Mittagessen stecken?
Neugier, reine Neugier, ermahnte der Commissario sich selbst, als er anderntags um halb neun auf dem Platz hinter der Casa del Sacro Cuore hielt. Er hatte es sich doch gedacht. Vor dem rückwärtigen Tor parkte ein Leichenwagen mit glitzernden goldenen Engelchen. Nicht weit davon ein Taxi, der Fahrer ging auf und ab. Auch drei Mopeds standen da. Kliniken, Hospize, Krankenhäuser haben immer eine Hintertür, wegen der meist vormittags stattfindenden Bestattungen und des letzten Geleits, das schnell und diskret abgewickelt wird: Angeblich um den Kranken und den anderen Bewohnern den Anblick von Särgen und weinenden Angehörigen zu ersparen, denn sie hoffen schließlich, das Haus durch das Hauptportal eigenfüßig verlassen zu können. Ein heimtückischer Wind wehte und trieb schmutzig gelbe Wolken durcheinander. Dann tauchten vier Männer auf, die einen Sarg trugen, gefolgt vom Neffen der verstorbenen Signora Maria Carmela. Das war's. Montalbano legte den Gang ein und fuhr los, er war deprimiert und verärgert über sich selber und seinen Einfall. Was zum Teufel hatte er bei diesem Trauergeleit verloren, das von einer fast beleidigenden Armseligkeit und Trostlosigkeit war? Neugier! Aber worauf? Wollte er wissen, mit welchen einfallsreichen Ticks Ingegnere Spagnolo noch aufwartete?
Als das Hausmädchen von Signora Clementina Vasile Cozzo die Tür öffnete, merkte Montalbano schon an dem Blick, mit dem die Frau ihn bedachte, dass sie immer noch eine ebenso tiefe wie unerklärliche Abneigung gegen ihn hegte. Teilweise verzieh Montalbano ihr das, weil sie wusste, was sie in der Küche zu tun hatte.
»Die Zeit vergeht, was?«, meinte das Hausmädchen und riss ihm das Paket cannoli aus der Hand.
Was hieß denn das? Dass er in weniger als einem Jahr ein alter Mann geworden war? Und dann grinste diese infame Person auch noch, als er sie fragend und besorgt ansah. Im Wohnzimmer quoll aus einem Sessel neben dem Rollstuhl von Signora Clementina eine unglaublich fette Fünfzigjährige, deren Stimme durch Mark und Bein ging, sie redete nämlich nicht, sondern hatte einen Ton an sich, der eng mit dem hohen C verwandt war. »Das ist meine Cousine Ciccina Adorno«, sagte Signora Clementina zu Montalbano, und in ihrer Stimme schwang die Bitte um Verständnis mit.
»Gütiger Himmel! Wie freue ich mich, Sie kennen zu lernen!«
Das war am ehesten ein Mittelding zwischen dem Geheul einer Nebelsirene und dem eines Wolfs, der seit einem Monat nichts zu beißen hatte. In der Viertelstunde bevor sie sich an den Tisch setzten, erfuhr Montalbano unter zunehmenden Ohrenschmerzen, dass Signora Ciccina Adorno verwitwete Adorno (>Ich habe meinen Cousin geheiratete) nicht fünfzig, sondern siebzig Jahre alt war, und er entnahm ihren wirren Erklärungen, warum sie von Fela nach Vigata hatte fahren müssen: Sie lag nämlich im Streit mit einem, der ein kleines Haus von ihr gemietet hatte und die Miete nicht mehr zahlen wollte, weil im Dach eine undichte Stelle war und bei Regen das Wasser in die gute Stube tropfte. Wer müsse nun nach Meinung des Commissario, der ein Mann des Gesetzes sei, für die Reparatur der undichten Stelle aufkommen? Zum Glück bat in diesem Augenblick das Hausmädchen zu Tisch. Betäubt von dem Geschrei, konnte der Commissario die pasta 'ncasciata gar nicht genießen, dabei entstammte sie bestimmt einer Sphäre ganz knapp unterhalb der allerhöchsten, wo der Herrgott sitzt. Dafür war Signora Ciccina zu dem Thema gewechselt, das sie am brennendsten interessierte, und so befragte sie ihn zu den kleinsten Details über die sie natürlich umfassend Bescheid wusste - sämtlicher Einzelheiten aller Fälle, die Montalbano je gelöst hatte. Sie erinnerte sich an die belanglosesten Nebensächlichkeiten, die dem Commissario vollkommen entfallen waren. Beim Fisch startete Clementina Vasile Cozzo einen letzten Versuch, den Commissario aus diesem Fragentaifun zu erretten.
»Ciccina, was meinst du - wird dem japanischen Kaiser ein Sohn oder eine Tochter geboren?«
Und während der Commissario noch überrascht war, dass plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher